Der geteilte Blick – alles ist Wechselwirkung

„Im Wesentlichen Einheit, im Zweifelhaften Freiheit, in allem Liebe“ (Augustinus Aurelius)

Das Wichtigste der letzten Wochen war für mich eindeutig die Wundversorgung eines in unserer Nähe befindlichen Straßenbaumes, der leider in einen Autounfall verwickelt wurde. Frontal setzte der Fahrer in einer Kurve seinen Wagen gegen den Stamm dieses Baumes. „Esche 149“ blieb anschließend bis in sämtliche ihrer Wurzeln „erschüttert“ und ihrem Schicksal überlassen, mit einem erheblichen Schaden an ihrem Fuß, ohne jede Wundversorgung zurück.

Wir verloren innerhalb eines Jahrzehnts drei stattliche Bäume vor unserer Tür – und nicht einer wurde je ersetzt! Was bleibt, sind Lücken, die nur von wenigen Menschen als solche und als entsprechender Verlust wahrgenommen werden. Deshalb wurde ich tätig und wollte den Baum davor bewahren, wegen „unterlassener Hilfeleistung“ irgendwann später an seiner Verwundung einzugehen. Bakterien und Pilze erobern solch perfekte Lebensräume für sich sehr schnell, zumal die zunehmende Trockenheit ihnen dabei behilflich ist.

Am Beispiel des Landesstraßenbaumes 149 habe ich erkennen müssen, dass trotz der vielen, derzeit geführten Diskussionen um Natur und Klima, Empathie und Akzeptanz dem Leben eines Baumes gegenüber, ebenso wie beim „Tierwohl“, leider noch zu wünschen übrig lassen. Gewisse Sichtweisen müssen sich wohl immer erst ganz allmählich etablieren. Ich gewann den Eindruck, auch „Vorgänge“ in Behörden haben sich „erwachsen“ anzufühlen, bevor man sich ihrer annehmen und mit ruhigem Gewissen verantwortlich fühlen kann, ohne sich als „zu gefühlig“ zu blamieren. Wer Empathie zeigt, noch dazu für einen Baum, der tickt doch nicht ganz richtig.

Ja, wen kümmert es? In Brasilien wird gerade der Amazonasregenwald großflächig abgeholzt, dem viele Bäume angehören. Wir sind Teil eines verzweigten, lebendigen Systems, dem einzigartigen Planeten „Erde“ , das wissen alle, dass aber die üblen Auswirkungen von Abholzung, Raubbau und landwirtschaftlicher Überdüngung sowie übertriebenem Pflanzenschutz und damit verbundenem Artenverlust, jeden betreffen, wollen indes zu viele immer noch nicht glauben.

Insgesamt hatte ich mich an fünf „fachlich relevante“ Männer und eine freundliche, aber sich offenbar nicht zuständig fühlende Frau gewandt. Nach etlichen Telefonaten gelangte ich am 17. Juli schließlich zu Herrn Gabel, ein, der Stimme nach recht junger Mann, der meine Sprache (und auch meine Sorge um den Baum) verstand. Noch am selben Tag bekam der „Patient“ dann endlich eine entsprechende Versorgung, 6 Wochen nach dem Unfall. Ihm wurde ein „Verband“ angelegt und seitdem hoffe ich, dass seine Wunde eine Narbe mit Wulst am Rand bilden wird. Ich schätze, die alte Esche hat ungefähr mein Alter, wenn sie nicht sogar über noch mehr Jahresringe verfügt. Die Narbe sieht dann eventuell nicht schön aus, aber unser Baum wird noch viele Lebensjahre vor sich haben, hoffentlich mehr, als ich sie habe.

„Vorstellungskraft“ verbunden mit vorausschauendem Denken sollte ein Pflichtschulfach werden. Wie oft höre ich die Leute sagen: „ Ja, wenn ich das früher gewusst hätte!“. Hätten sie dann tatsächlich anders gehandelt? Es ist so leicht ein halbherziges „Sorry“ in die Welt zu entlassen. Woher kommen Verdruss und Gleichgültigkeit bei zunehmender Gereiztheit und Selbstbemitleidung, warum steht unsere Welt Kopf, wieso fliegt gerade alles auseinander? Mutter Erde leidet, aber die „Plage“ Mensch verharrt in Routine und peinigt ihren Wirt, wie eine Krankheit, gegen die es kein Heilmittel gibt.

Irgendwann kam mir beim Begriff „Plage“ die griechische Sage der „Pandora“ und ihrem Gefäß (der doppeldeutigen „Büchse“) aus welcher einst unglücklicherweise außer der Hoffnung, alle Laster und Übel dieser Welt entwichen, in den Sinn. Das Schlechte eroberte die Welt und Trostlosigkeit breitete sich aus – erst als die Hoffnung ebenfalls entweichen konnte, weil die Büchse erneut geöffnet wurde, sollte sie ein Ende finden.

Wenn ich die alten Schriften lese und die mythologischen Themen im Verlauf zu den meinen werden lasse, bin ich erstaunt, wie aktuell sie doch sind.

Bei meiner PANDORA, der „Allbeschenkten“, knüpfte ich ihre Unheilsbringung mit einer gewissen Freude an ihre Schönheit. Denn Pandora war nur das bezaubernde Trugbild einer attraktiven Frau, talentiert und angeblich auch sprachlich gewandt, liebreizend und musikalisch. Eine Freundin der Künste und allem Schönen zugewandt. Parallelen zum biblischen Sündenfall tun sich mir auf, denn in beiden Mythen rächen sich strafende Götter mit Hilfe des attraktiven Weibes an den Menschen. So wird die jeweils erste Frau auf Erden zum Werkzeug degradiert und verführt den Mann – gegen seinen Willen, denn er weiß es eigentlich besser – die Vertreibung aus dem Paradies, beziehungsweise alle Übel in der Welt, sind die Folge.

Gedanklich probierte ich zuvor sämtliche Lösungsansätze durch und kam zu dem Schluss, meiner Protagonistin kein realistisches Frauenantlitz geben zu wollen. Diese Variante erschien mir einfach zu simpel. Herausgekommen ist nun stattdessen ein merkwürdiges Blumending in Pink ohne Gesicht, dem die weltkugelförmige Dose mit Monddeckel in ihren Händen, plötzlich und unerwartet, auseinander fliegt. Doch auch die unheilverströmende „Büchse“ ist vorhanden und befindet sich auf der Rückseite der merkwürdigen Plastik. Der Betrachter wird ihrer schrecklichen Fratze, umgeben von lauter ausgespienen Knochen, erst beim Rundgang um das eigenartige Objekt ansichtig. Ich habe die ursprüngliche Story ein wenig zugunsten der künstlerischen Freiheit, die ich mir einfach herausnahm, abgeändert und der heutigen Umweltthematik angepasst.

Das schräge Objekt birgt leider wieder lauter Tücken in sich und ist schlecht zu heben. Es findet sich kaum eine brauchbare, griffige Nische zum Fassen der gewichtigen Tante. Ich habe (ganz Frau) wieder einmal nur in eine Richtung gedacht und so war mir beim Aufbau nicht wichtig, dass man das unbequeme Teil auch bewegen können muss. Ich arbeite manchmal, wenn ich voller Elan bis über beide Ohren im Gestaltungsprozedere stecke und den roten Faden gefunden habe, wie in Ekstase, jenem rauschhaftem Zustand ohne jede Ratio, der ringsum alles vergessen lässt.

Ich werde neuerdings des Öfteren gefragt, wie ich denn eigentlich zu meinen merkwürdigen Einfällen käme. Antwort: während monotoner Hausarbeiten und auch im Halbschlaf! Ich gehe förmlich „schwanger“ damit, bis ich mich ihrer arbeitend in der Werkstatt annehme. Seit längerem drängte sich mir bisweilen der Gedanke auf, dass es scheinbar allzu oft und ausgerechnet die FRAU ist, die der Welt übel mitspielt. Ich fragte mich, warum ist das so? Und weil es mir schwerfällt meine Gedanken zu verbergen, reagiert der Sohn prompt und grinst dabei: „Wir (Männer) hätten ohne euch (Frauen) all unsere Probleme nicht, wir säßen gemütlich im Biergarten zusammen und alles wäre gut.“

Des Fischers Fru, der Ilsebill ihr Mann, säße dann ganz sicher ebenfalls dort, zusammen mit der Hexe Baba Jaga, die ja eigentlich ein Mann in Frauenkleidung ist, wie wir aus russischen Märchenfilmen wissen. Der Biertisch als Therapiezentrum und Trostspender! Ich kann gar nicht damit aufhören, amüsiert weiterzuspinnen! Auch sämtliche Abgeordnete aus der Politik fänden an diesem Biertisch ihren Platz und sie würden heftig über die Frau und Wissenschaftlerin Angela Merkel diskutieren! Als Bundeskanzlerin, so erklären Mitteilungsbedürftige gern, hätte sie schließlich alles ganz anders anpacken sollen.

Vielleicht hätte sie dies in der Tat tun sollen! Womöglich befand sie sich all die Jahre über, viel zu sorglos in direkter Nähe zur Macht. Gewinnstreben und von Gier getriebene Profitmaximierung (ständig angefordertes Wachstum!) sind meiner Meinung nach verantwortlich für die Zerstörung unseres, im Weltall so trügerisch – schön und blauschimmernden Paradieses. Sämtliche Banker und Wirtschaftsbosse hätten an die lange „Schleppleine“ (ein Begriff aus der Hundeschule) gehört und stattdessen die Wissenschaft gestärkt werden müssen. Denn schon in Goethes Faust, der Tragödie erster Teil, lesen wir von der fatalen Macht des Geldes:

„Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles! Ach wir Armen! …“

Wir schmücken uns mit dem deutschen Kulturerbe und loben die Kunst und die Wissenschaften. Überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit erhalten aber jene, die Spaß versprechen und hierbei möglichst viele Menschen mitnehmen. Dafür gibt es bereitwillige Sponsoren. Wäre es jetzt vielleicht aber doch wichtiger, jenen Gehör zu verschaffen, die nicht nur herumlabern, sondern tatsächlich etwas zu sagen haben und den Intellekt anregen? Die sogenannte „Energiewende“, was für ein gewichtiges Wort (!), sie hätte bereits lange Zeit schon greifen, hätte Wirkung zeigen können, wenn nicht wirtschaftliche Interessen dies blockiert oder sogar ganz verhindert hätten.

Die Bloggerin Laurie Penny stellt die interessante These auf, dass, „wenn alle Frauen morgen aufwachten und sich wirklich gut und mächtig in ihren Körpern fühlten, die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbräche“. Ich denke, nicht nur, weil Kleidungs- und Kosmetikbranche überflüssig würden, sondern auch aus dem Grunde, weil die Frauen endlich einmal positiven Einfluss auf ihre Männer ausübten , anstatt ihre Zeit damit zu verplempern, sich ständig gegenseitig zu vergleichen. Ilsebill hätte es dann nicht mehr nötig, ihren devoten und bequemen Mann zu bedrängen, ihr die absurdesten Wünsche zu erfüllen …

Neue Frauenbilder mit entsprechenden Rahmenbedingungen braucht das Land!

„Chimäre“ Pandora ist ein Mischwesen, zusammengesetzt aus vielerlei, weiblicher Eigenschaften. Elegant rosablumig und schön, unbeholfen und tollpatschig, hinterhältig und gemein. Vorn oben hui und hinten unten pfui. Real und Abstrakt. Sie ist deshalb auch einfach nicht zu fassen. Ich kann sehr gut verstehen, dass ich nicht verstanden werde! Zu absurd und einfältig erscheint einigen dann das, was in meiner Werkstatt entsteht. „Welche Dämonen sind es, die mich reiten“? … diese Frage stellte mir Arno Neumann schon vor Jahren, ein von mir hoch geschätzter und bekannter Kulturjournalist, der in diesen Tagen seinen 89. Geburtstag begeht. Ich konnte seine Frage nicht beantworten, doch damit die „Dämonen“ nicht überhand nehmen, ist es mir wichtig, ermüdet von meinen merkwürdigen Gedankenspielen, zwischendurch lustig zu sein. Beides muss sich die Waage halten! Nur so behalte ich (m)einen klaren Kopf. Neben einer angefangenen Arbeit steht deshalb immer eine zweite, an der ich gleichzeitig nebenher tätig bin. Wie schon erwähnt, habe ich mich in letzter Zeit unter anderem auch mit der Fertigung von Blumenvasen befasst.

Menschliche Leiber räkeln sich auf ihnen und tanzen freudig umeinander herum. Füllige Körper tragen eine Ausdruckskraft in sich, welche mir genügend Raum lässt, witzig zu sein. Ich greife dann gelegentlich mit Humor auf eigene gemachte, „erschreckliche“ Alterserfahrungen vorm Spiegel, zurück. Natürlich sind auch dünne Leute lustig, sie sind es auf eine andere Weise. Aber was soll´s? Schlanke Suppenhühner ergeben nun einmal keine gute Brühe, auch, wenn sich der Koch noch so sehr darum bemüht. Meine Blumenvasen sind deshalb auch nicht für edelste, vom Blumenhändler gestaltete und farblich abgestimmte Blumenarrangements, sondern für die eher krautigen, unscheinbaren Stängel der Blumen des Gartens Eden gemacht. Von den gemeinsamen Spaziergängen mit unserem Hund brachte ich unterschiedlichste Sträuße mit und habe die Vasen schon mal probeweise damit befüllt und ausprobiert. Unkraut steht wunderbar darin! Meine Botschaft „mehr Natürlichkeit wagen!“ … wird auf diese Art bestens zur Geltung gebracht.

Stattliche Sonnenblumen oder duftende Lilien, auch stolze Gladiolen halten diese matt glasierten Gefäße ebenfalls aus, nur extravagante Rosen vielleicht eher nicht. Mein Favorit ist das Garten-Eden-Motiv der verliebten Paare unter Apfelbäumen, als die junge und gerade erst frisch erschaffene Welt, noch halbwegs in Ordnung war. Je nach Laune, dürfen auch die lieben Tiere darin nicht fehlen, so saß mir natürlich unsere Hündin auch das eine oder andere Mal schon Modell.

Pünktchen ist seit heute ein halbes Jahr alt und hat momentan „Flatterohrentage“, was wirklich sehr eigenartig aussieht. Eigentlich sollten beide Ohren gleichmäßige, an den Seiten des Hundegesichts herabhängende, schöne Dreiecke bilden. Doch die Ohren unseres Hundes rollen sich manchmal, wie Blätterteiggebäck und stehen zu den Seiten, beziehungsweise nach hinten hin, merkwürdig ab. Sie tun das nicht immer. Und oft macht ein Ohr anders, als das andere es will! Wir sind gespannt, wohin dieses Ohrenspiel – eine eigenartige Begleiterscheinung der Pubertät dieser Hunderasse – noch führen wird. Wenn dann ein Ohr für immer absteht, das andere aber nicht, dann soll es so sein! Hundekundige versehen die Hundeohren im „Kleinkindhundealter“ vorsorglich mit Gewichten und kleben Centmünzen daran, um die Hängeeigenschaften der Klappohren ihrer Lieblinge zu kontrollieren, so dass sie ordentlich baumeln müssen. Weil wir uns beim Anblick unserer Hündin an „Obelixens“ Hund Idefix erinnert fühlten, dachten auch wir für kurze Zeit daran vorzubeugen, wir hielten die lästige Prozedur aber nicht durch.

Eines meiner Gefäße mit Hund zeigt diesen gemeinsam mit einer, auf ihr gepunktetes Sofa ausgestreckt hingegossen liegenden, deutlich übergewichtigen Frau. Lucian Freud lässt grüßen! Neuerdings begegnen mir jetzt überall Künstler mit ihren Hunden. Ein Phänomen, welches schwangere Frauen auch kennen, wenn sie überall Schwangere sehen und andere Frauen, die Kinderwagen schieben. Oft sitzen kleinere Hündchen auf dem Arm ihrer Besitzer, wie „Daisy“ bei dem Designer Rudolph Moshammer oder „Miss Audrey“ bei Donatella Versage, deren Jack Russell Terrier den Betrachter mit ebensolchen Ohren, wie unser Hund sie zurzeit trägt, erfreut. Loriot muss ich nicht weiter erwähnen, seine zugleich vorwurfsvoll wie melancholisch dreinblickenden Möpse, kennt jeder. Über seine witzige Äußerung „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“… kann man diskutieren, denn das wird, bei allem Humor, jeder Hundebesitzer anders sehen.

Alice Springs Foto von Modeschöpfer Yves Saint Laurent mit einem winzigen Hündchen in der Armbeuge, berührt mich besonders. Der auffallend sehr kleine Hund senkt nachdenklich und scheinbar völlig in sich gekehrt, sein Köpfchen und will nicht in die Kamera sehen. Apparate, die Tieren vor die Nase gehalten werden, scheinen diese mitunter als „respektlos“ zu empfinden. Ich beobachtete Pferde, die deutlich genervt und abweisend auf ein ihnen vorgehaltenes Handy reagierten. Was für eine selbstbewusste Haltung! Sogar Elster Quax mochte die Kamera zwischen seinem und meinem Gesicht nicht sonderlich gern. Der kluge Vogel attackierte dann gereizt den kleinen Apparat in meiner Hand mit seinem kräftigen Schnabel. Elsters Meinung nach, hantierte ich zu viel damit herum. Ich sollte stattdessen, all meine Aufmerksamkeit allein auf ihn gerichtet halten.

Auch der Mensch kann gar nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Er liebt es für gewöhnlich im Rampenlicht zu stehen und er liebt darum die Kamera.

Vieles hat sich für uns verändert mit Anwesenheit der unterschiedlichsten tierischen Mitbewohner im Hause Simon. Von ihnen lernten wir und mit jeder neuen Lebensphilosophie, die jedes Tier mitbrachte, verschob sich der eigene Betrachtungswinkel ein klein wenig in eine Richtung, die ich vielleicht am besten als „relaxed“ beschreiben könnte. „Du bist schwierig“, behaupten neuerdings, sogar mir wohlgesonnene Kollegen. Ich jedoch, kann das überhaupt nicht nachvollziehen.

Gemeint ist natürlich die spröde, wenig zugängliche und zudem „kamerascheue“ „Künstlerin“ Simon.

Zum widerholten Male frage ich: bin denn nicht auch ich zuerst einmal Mensch? Ich wurde doch nicht als Künstlerin geboren! Es ist kein Wunder, dass ich keine Lust darauf habe, stetig herausfinden zu müssen, auf welchem Fuß der andere gerade steht. Ich steh ebenso auf zwei Beinen und Dank der Operation am Kippelbein, nun auch recht standhaft. Die wechselwirkenden Kräfte des Lebens schleifen jeden „Kieselstein“, mehr oder weniger rund, verändern aber in jedem Fall, seine Form. Philosophisch betrachtet bedeutet das für mich, dass nie alle „Kiesel“ ergonomisch auch wirklich zusammenpassen, um ideale Partner zu sein. Immer reibt sich was, oder es klemmt. Immer ist einer „härter“ der andere „weicherer“ Natur.

„Eckigere“ ergänzen sich naturgegeben weniger mit den „Runden“, sie liegen dann eher desinteressiert und mit einigem Abstand voneinander, herum. Zwei vollkommen „Runde“ rollen aneinander vorbei und haben sich wohl von daher, auch wenig zu sagen. Zwei sehr spröde, „Eckige“ verkeilen sich ineinander, oder lassen den anderen gar nicht erst an sich heran. Es ist ein weites Feld, ähnlich dem, der Liebe.

In meinem Falle stimmt es schon, dass die „günstige Gelegenheit“, diese überaus sympathische „Freundin“ des Small Talks, meine Gesellschaft meidet. Sie tut dies vorrangig, wenn ich „auf Arbeit“ in Galerien unterwegs bin und Vernissagen besuche. Diese Besuche sind immer eher kurz, denn während eines Gesprächs ohne Inhalt und über nichts, kann man sich auch leicht verquasseln. Ich will mich aber nicht erklären, will mich nicht festnageln und auch nicht immer wieder bemitleiden oder gar trösten lassen, weil einer vermutet (oder sogar darauf hofft), es ginge mir schlecht!

Maren Simon, Selbst mit Nägeln, 2018

Ja, ich mache häufig das Positive im Negativen zu meinem Thema, das stimmt. Die Scherbenplastiken sind dafür der beste Beweis. Aber ich frage, was wäre ein ordentlicher Künstler ohne seine schmerzlichen Psychosen im Oberstübchen? Ich behaupte, „oben ohne“ zu sein ist unmöglich, man wäre sonst arbeitslos! Wie sagt es Augustinus Aurelius, den ich heute öfter schon bemühte, so treffend: „Wenn du nicht Teil der Lösung bist, sei Teil des Problems“.

Das ist etwas, was ich offenbar sehr gut kann – ein Problem zu sein.

Er sagt aber auch: „Die Seele ernährt sich von dem, worüber sie sich freut“. Ich freue mich vor allem, wenn ich mit meinen Händen etwas Sinnstiftendes geschaffen habe. Eine Taktik, um meine Werke auch erfolgreich zu bewerben, habe ich nicht, denn die Worte und auch mein Vertrauen gingen mir im Laufe der vielen erfolglosen Jahre, irgendwie flöten und ohne sie, kommt man als ältere Frau in künstlerischen Gewerken, nur häppchenweise voran. Darum bleibt mir als der einzige Ausweg aus diesem Dilemma, tatsächlich nur die Arbeit. Und natürlich – Geduld.

Ich erfahre weniger die direkte, als jene stille Form der Wertschätzung von außen, die mich stark sein lässt.

Meine, durch Kontaktarmut gefestigte, anhaltende „Brotlosigkeit“ wäre ein Grund die vorderen Reihen endlich gezielter in Anspruch zu nehmen. Jeder „Anker“, der Publicity verspricht, müsste mir doch da gelegen kommen! In jungen Jahren hätte ich mich in der Tat für Aufgaben, die mir verstärkt Gelegenheit gegeben hätten, mich auf künstlerischem Gebiet etablieren zu können, interessiert. Heute bin ich aus Erfahrung klug und vorsichtig geworden und zudem auch ein wenig bequem. Der Außenstehende darf bei seiner wohlmeinenden Beurteilung nicht unterschätzen, wie tief die Wurzeln dauerhaft gepflegter Gewohnheiten reichen können! Jemand, der so wie ich, anhaltend dazu gezwungen war, immer in Eigenregie sparsamst agieren zu müssen, der ist nicht in der Lage plötzlich auf „Erfolg“ und finanziell ausgerichtetes Denken, umzuschalten.

Dafür bin ich zu lange „völlig losgelöst“ unterwegs und inzwischen auch zu alt.

„Gieß aus, auf dass du erfüllt werdest; Verlerne das Lieben, auf dass du lieben lernst; Kehre dich ab, auf dass du herzugekehrt werdest.“

Dieses treffliche Zitat von Augustinus Aurelius, der von 354 – 430 u.Z. lebte und in meinen Augen derart aktuell ist, dass ich nur staunen kann, bringt meinen Blog – wie passend – im Monat August nun zum Abschluss. Ich hoffe, diese Abhandlung bewirkt, dass meine „Widerspenstigkeit“ kein Thema mehr ist und endlich als löblicher Eigensinn respektiert wird.

Maren Simon, Blumenvase, 2019

Maren Simon am 12. und 13. August 2019

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