Die Höllenfahrt des IKARUS – Collage aus Tonfragmenten in Kombination mit tierischen Knochen und Scherben, 2023
Der Mythos von Dädalus und Ikarus erzählt davon, dass Vater und Sohn von König Minos im Labyrinth des Minotaurus auf Kreta, gefangen gehalten wurden, weil Dädalus an Theseus Hinweise zur Verwendung des Ariadnefadens gab, was zu der Bestrafung beider führte. Minos kontrollierte sowohl den See- als auch den Landweg, daher war eine Flucht über Land oder zu Wasser unmöglich, sie würde nur mittels Flügeln gelingen, die der Vater eigens zu diesem Zweck für sich und seinen Sohn, baute. Dazu befestigte er Federn mit Wachs an einem Gestänge und ermahnte den Sohn, weder zu hoch noch zu tief zu fliegen; denn sowohl die Hitze der Sonne als auch die Feuchte des Meeres, könnten zum Absturz führen.
Doch Ikarus vergaß diese mahnenden Worte und wurde übermütig – denn scheinbar ging alles viel zu leicht! Hoch stieg er auf und kam der Sonne zu nah – das Wachs seiner Flügel begann zu schmelzen, die Federn lösten sich ab und Ikarus stürzte ins Meer. Die Insel Ikaria ist nach ihm benannt worden, wo sein verzweifelter Vater ihn begrub.
Soweit die griechische Mythologie in aller Kürze, die meiner Plastik zugrunde liegt.
In der Kunst ist dieses Thema immer wieder aufgegriffen worden, wonach Ikarus als Sinnbild für den technikaffinen, unbelehrbaren Menschen steht, dessen dreister Griff nach der Sonne trotz Kenntnis der Gefahr, den unvermeidlichen Absturz provoziert. Und Ikarus Hochmut ist auch für mich der Kern dieser Geschichte, den sein Größenwahn und seine Alltagsroutine, blind und gefühlsarm werden ließen. Seitdem er sesshaft wurde trachtet der Mensch danach – sich und seine Bedürfnisse – weiterzuentwickeln, ohne jede Rücksicht auf Verluste. Dabei ist ihm die Natur mit ihren Tieren und Pflanzen ebenso gleichgültig wie auch das Schicksal anderer Menschen ihm egal ist, wenn nur der Profit stimmt. Aktuell gipfelt diese Mär vom notwendigen steten, wirtschaftlichen Wachstum, ohne das die Gesellschaft angeblich zugrunde geht, darin, trotz der sich anbahnenden Klimakatastrophe und wider besseren Wissens, anderen – angeblich wichtigeren Dingen – Vorschub leisten zu müssen.
Wir haben das ARTENSTERBEN provoziert, kämpfen mit Viren, das Polareis schmilzt und der Golfstrom verändert sein Gemüt. Das Wetter verändert sich; Wassermangel lässt in einigen Regionen dieser Erde ganze Landstriche austrocknen und zu Wüsten werden, verheerende Feuerwalzen hinterlassen die pure Zerstörung. Andernorts sorgt ein Zuviel an Wasser für Überschwemmungen und Seuchen. In den Nachrichten erfahren wir von Stürmen, Tornados und Orkanen, die über die Kontinente fegen. Menschen, die in solchen Extremlagen gezwungen sind zu überleben und deren Lebensgrundlagen aber mehr und mehr wegzubrechen drohen, werden zu Migranten, denn Auswanderung ist die Folge. Doch kaum einer – auch nicht die vielen GUTMENSCHEN, die fleißigen, aus unserem relativ reichen Lande – niemand von denen möchte diesen Verzweifelten, neue Heimstatt und Zuflucht gewähren! Mehr noch: bestimmte Ressourcen erweisen sich schon jetzt als immens wichtig, weil immer knapper werdend! … sodass allein deretwegen davon auszugehen ist, dass in Zukunft noch mehr KRIEGE geführt werden.
Was mich zunehmend in Sorge versetzt.
Aus solchen diffusen Gedanken sind anfangs drei Bilder auf Papier entstanden, mit deren Erarbeitung ich mich dem Thema Mensch und Umwelt vorsichtig zu nähern begann: Blatt 1 Der Aufstieg / Blatt 2 Tag und Nacht / und Blatt 3 Der Fall –
Beim Malen entschied ich bereits, mich nicht damit zufrieden geben zu wollen, allein das Wachs an den Flügeln durch die Hitze schmelzen zu lassen, damit meinem Protagonisten die Federn abfallen; Ikarus sollte nicht nur ‚flugunfähig‘ sein und aus diesem Grunde abstürzen, denn das wäre mir eindeutig zu profan erschienen, weil: zu wenig Drama! Mein Ikarus sollte gleich ganz in Flammen aufgehen! … und dabei dann, im freien Fall sozusagen, entsprechend leiden: Am HITZETOD, den auch wir zu fürchten haben!
Das Feuer bereinigt alles und frisst die Farben während es wütet, auf.
Und diese Schwärze der aus Ton, tierischen Knochen und Scherben aufgebauten Collage, transportiert nun dem Bilderzyklus folgend – bestens meine dunkle Botschaft, zumal Ikarus glühendrotes Herz im tönernen Brustkorb noch zu pulsieren scheint. Meine künstlerische Freiheit erlaubt es mir, solche absurden Gedankenspiele zu betreiben. Ikarus‘ HERZ, auf das er hätte hören sollen – es lebt noch – obwohl doch der harte Aufprall dem, – der Logik folgend – jäh ein Ende hätte setzen müssen. Und anders als auf dem Bild, wo Ikarus noch im Fallen begriffen ist, stellte ich mir also bildlich vor, wie seine Wirbel krachen und sich ineinander verkeilen würden und wie das Resultat dieser Gewalterfahrung dann auszusehen hat: Ein auf dem Kopfe stehender, schräger Haufen Knochen, den es für mich dann nur noch galt, möglichst authentisch und mittels der Sprache der Kunst (und damit ins Dreidimensionale), zu übersetzen.
Übrig bleiben sollte allein ein kläglich verkohlter Rest des einst lebendigen Körpers – auf übelste Weise in sich zusammengestaucht. Vom ehemals aufrechten und stolzen, menschlichen Gang auf zwei Beinen, so meine Botschaft, dürfe am Ende rein gar nichts mehr zu erahnen sein. Genau so wollte ich es haben!
Was mir noch wichtig war aufzuzeigen; Ikarus ist nicht allein dem Tode geweiht. Denn das ist ja das Schlimme: Homo Sapiens machte sich im Laufe seiner Entwicklung die Erde derart Untertan, dass er mit seinem überheblichen Tun, inzwischen auf grausamste Weise über Leben und Tod aller Erdenbewohner entscheiden kann! „Immer haben wir gemeint: die Tiere würden bleiben. Aber wir werden sie mit uns nehmen ins Nichts.“ Diese Zeilen, die mit dem Wort „Neutronenbombe“ überschrieben sind, stammen von Heinz Kahlau, einem DDR-Schriftsteller, der sie (- und andere wertvolle Gedanken) bereits in den Achtzigern zu Papier brachte.
Seine Zeilen sind heute nun wieder von besorgniserregender Aktualität.
Doch weder Umweltministerin Frau Steffi Lemke, noch Kulturministerin Frau Claudia Roth – beide Frauen kommend aus der Partei der GRÜNEN, konnten mit meiner Arbeit, die ich ihnen vorstellte, so recht etwas anfangen. Beide verwiesen auf andere Ebenen, u. a. deshalb, weil sie sich NICHT für diese Art von Kunst zuständig fühlten, an der nichts Schönes haftete. Frau Lemke empfand die Plastik sogar als zu wenig umwelt- und naturbezogen und damit als zu allgemein. Sie verwies aus diesem Grund auf das Kultur–Ressort ihrer Kollegin Frau Roth. Diese ließ ihrerseits über ihre Sekretärin sehr freundlich auf andere Institutionen verweisen, die möglicherweise behilflich sein könnten. Indem sie darum bat, dies meinerseits NICHT als eine abwiegelnde Auskunft aufzufassen, kam es bei mir allerdings genauso an. Tut mir leid, aber ich habe auch meinen Stolz. Immerhin möchte ich positiv vermerken; aus beiden Büros Antwortschreiben erhalten zu haben. Das muss sicherlich als positiv gewertet werden, denn in der Regel werden solche (lästigen) Nach- und Anfragen mit der Bitte um Unterstützung (ideeller wie finanzieller Art) sicherlich in den meisten Fällen, auf das Herzlichste ignoriert.
Die lange Liste der Briefe, die alle mit: „Wir müssen ihnen leider mitteilen, dass“ … anfangen, also sämtliche von Kulturvereinen, Stipendienvergabestellen, diversen Galerien oder Museen getätigte Absagen und Beileidsbekundungen, die gern damit enden: „Liebe Frau Simon! Wir wünschen Ihnen für ihre weitere Zukunft alles Gute“ … dieser Berg aus Papier, der sich in all den Jahren künstlerischer Berufstätigkeit angesammelt hat, ist somit wieder ein Stück angewachsen. Vielleicht mache ich aus diesen Kuriositäten namhafter Institutionen später mal einen Katalog … dann bekäme all das dann doch tatsächlich noch seinen Sinn. Sollte es mir irgendwann gelingen, mir gebührende Anerkennung und Gehör zu verschaffen, dann werden solche kleinen Beweismittel-Zettelchen, die die Unfähigkeit jener – damaliger Zeitgenossen mit Einfluss – bestens illustrieren, eventuell noch wichtig werden. Bei Schriftstellern funktioniert es jedenfalls so, wenn erst der 434.-igste Verlag einen Bestseller aus dem einstigen ‚Schmähwerk‘, das zuvor niemanden interessierte, schlussendlich dann doch noch und zu guter Letzt, herauszukitzeln verstand. Glück gehabt!
Solche sarkastisch geprägten Gedankenspiele können mich natürlich trotzdem nur wenig trösten … oder um es klar zu sagen – gar nicht.
Denn ich empfinde es einfach nur als enttäuschend und darum macht es mich auch so unfassbar traurig, dabei zusehen zu müssen, wie zwar ‚rege‘ gefachsimpelt wird „ein neues Zeitalter“ einleiten zu wollen, wobei die glänzenden Broschüren und bunten Faltblätter, die das zum Ausdruck bringen sollen als ‚beeindruckend‘ zu bezeichnen sind – es dann aber doch am Ende, an noch zu vielen Umständen scheitert. Trotz der schönen Worte. WOLLEN, HÄTTE und MÜSSEN – das bringt doch alles nichts. Ich sehe jedenfalls nicht, dass sich innerhalb Deutschlands (aber auch global betrachtet) irgendetwas zum Besseren hin, verändert hätte. Im Gegenteil. Ich habe den Eindruck, es scheint immer schlimmer zu werden! Manche empfehlen, sich nicht ALLES reinzuziehen, denn das macht angeblich nur depressiv, andere Stimmen rufen zu mehr politisch motivierter Aktivität auf. Und ich bleibe mit meiner Hände Arbeit da also zu allgemein?! Dabei sehen wir, wie zunehmend alle menschengemachte Ordnung auseinanderfällt, indem Anstand und Regeln missachtet werden und Vertrautes wegbricht, in einer selbstzerstörerischen Art und Weise, die erschütternd ist. So jedenfalls sehe ich das.
Und setzte ein menschliches Wesen in den Mittelpunkt meiner Betrachtung.
Monatelang arbeitete ich an der Ikarus-Collage, sammelte und trug zusammen was ich u. a. im Wald fand und ließ meine knöcherne Plastik wachsen, bis sie sich zu neigen anfing. Natürlich tat ich dies nicht aus Langeweile, sondern aus der Notwendigkeit heraus, meine Wahrheit zum Zustand unserer (kranken) Welt mitteilen zu wollen. Weil mir Aufklärung dringlich geboten und deshalb als notwendig erschien! Ich brachte all meine Emotionen in diese Plastik des törichten Ikarus mit ein und versuchte meinen trüben Gedanken Ausdruck zu verleihen und musste doch zur Kenntnis nehmen, dass man dies einfach NICHT verstand. Stattdessen lächeln sie nur über meine (vermeintliche) Einfalt, denn sie wissen leider nicht anders mit mir umzugehen. Als viel zu direkt (und negativ aufgeladen) wird meine Arbeit empfunden! Es ist ja nicht nur allein das Garstig-Dunkle und Knochige, das auffällt – es ist vor allem auch diese bedrohliche Schräglage! Jeder kann sehen, dass hier der Bogen sichtbar überspannt worden ist. Der drohende Fall zur Seite, wenn der Kipp-Punkt erst einmal überschritten wurde, ist jedoch nur noch eine Frage der Zeit.
Diese negativen Empfindungen, die mit dem Anblick meiner Plastik einhergehen, sie sind eigentlich das größte und ehrlichste Kompliment, dass ich erhalten kann. Meine Kompromisslosigkeit führt dazu als ‚Querulantin‘ abgetan zu werden, was jedoch nur eine gewisse Hilflosigkeit derer zum Ausdruck bringt, die sich angeprangert fühlen, weil sie nicht das tun, was zu tun wäre. Diese wenig romantische AUSSICHTSLOSIGKEIT unseres Industriezeitalters, das uns vorgaukelt, es doch gut zu haben, kann (darf) nicht in seichteren Tönen aufgezeigt werden! Die vermeintliche Idylle ist keine. Und solche Maßstäbe, die allgemein gesprochen für Poesie und Ästhetik herhalten müssen, die galt es daher auch demonstrativ zu brechen. Was mir den netten Kompromiss unmöglich machte. All das, was wir allgemein als unsere LEBENSKULTUR begreifen, in Form dieser Plastik in drastischer Zuspitzung und damit total überhöht, so BÖSE auf den Kopf und damit infrage gestellt zu haben, das ist das eigentlich Üble, weil Besserwisserische, was Ablehnung erzeugt.
Weil noch zu viele das DRAMA, indem wir die HAUPTROLLE spielen, nicht wahrhaben wollen …
Nur nutzt mir das Wissen darum wenig. Trotzdem: Auf Natur- und Umweltschutz zu setzen und mich für die Erhaltung unseres Lebensraumes ERDE einzusetzen, halte ich für DIE Aufgabe unserer Zeit, die von möglichst vielen Zeitgenossen mitgetragen werden will. Meine Hochachtung gilt daher den Klima-Aktivisten, die sich auf die Straße setzen und sich dort öffentlich von all den ‚GUTEN‘ und ‚BESSEREN‘ unter uns, beleidigen lassen! Ohne diesen Widerstand wird es nicht gelingen und deshalb biete ich meine Unterstützung an. Es gilt viele Menschen davon zu überzeugen, dass es richtig ist, dem Klimawandel und einem allgemein damit verbundenen Notstand, zu begegnen. Und wichtig finde ich auch, diese würdelose, zunehmende Verrohung (in Form von Hass- und Neiddebatten) untereinander und auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, endlich zu beenden. Stattdessen mahne ich an, mehr Augenmerk auf die echten Themen unserer Zeit zu lenken. Es darf nicht einer dem anderen nurmehr noch ein Wolf sein! „Der edle Mensch / Sei hülfreich und gut!“… (Zeile aus: Das Göttliche, J. W. v. Goethe)
Auch dafür – für mehr Menschlichkeit – steht und fällt mein Protagonist Ikarus.
Das alles scheint für einige Menschen total überfordernd zu sein. Doch, wenn sie (unsere Entscheider) nicht von selber darauf kommen, dann muss der mündige Bürger dieses Nach- und Mitdenken tatsächlich von ihnen einfordern. Zumindest will ich es versuchen. Unsere Entscheider (unsere Politiker) tragen nun einmal die Verantwortung, indem sie die Gelder verwalten und verteilen – die dann ‚gut‘ oder ‚böse‘ zum Einsatz gelangen, was vor allem nächste Generationen betrifft, die mit den Auswirkungen werden (über)leben müssen. Angeblich liegt alles Geld auf der Straße … nur leider nicht für mich und nicht für mein IKARUS-PROJEKT.
Die Knochen-Collage als dauerhafte Bronzeplastik im öffentlichen Raum aufgestellt, hätte, so denke ich und bin davon überzeugt, das Potential dazu, eine starke Wirkung zu entfalten, wenn man ihr diese Chance gäbe. So könnte „Die Höllenfahrt des IKARUS“ am richtigen Ort aufgestellt – zu einem wahren STATEMENT für mehr gelebte Mitmenschlichkeit werden. Denn nicht allein der drohende Hitzetod infolge des Klimawandels oder ein möglicher Atomangriff sind Thema meiner Collage – alltäglicher Egoismus und Arroganz, die die Welt an den Rand des Ruins bringen, sind es ebenso. Die einfache Botschaft: Mehr RÜCKSICHT!
Vielleicht nur eine Frage der Zeit, dass RÜCKSICHT als ERFOLGSMODELL und im eigenen Interesse – wiederentdeckt wird.
Maren Simon, am 20. Februar 2024