Scherbenplastik

HÄNDE – sie schlagen, sie greifen, sie stehlen, sie morden … im besten Falle halten sie sich aber gegenseitig, streicheln oder kommen sich entgegen … wahrscheinlich sind Hände aufgrund ihrer Vielseitigkeit, die nur Primaten und uns Menschen auszeichnet, daher auch so wichtig für mich geworden, dass ich sie immer wieder in meine Arbeit einfügen muss. Auch die scherbenen Plastiken und der untenstehend abgebildete Rahmen für einen Spiegel, leben von diesen Händen, die von mir zwischen den SCHERBEN platziert wurden.

„Spiegel“, gebaut für einen jungen Wissenschaftler speziell nach seinen Wünschen, 2022, Maren Grünemitten Simon, Ton-Scherben-Collage, Höhe ca. 65 cm

Ich bin nicht glücklich darüber, aber mit keramischen und anderen Scherben als Gestaltungsmittel, habe ich anscheinend DAS geeignetste Material der Wahl gefunden, um die aussichtslose Lage zu beschreiben, in der wir Menschen uns (trotz und vor allem wegen unserer Intelligenz) befinden. Alles dröselt irgendwie davon und fällt auseinander. Verantwortung kennen sie nicht, die, die ihre Fäden lieblos laufen lassen ohne darauf zu drängen, endlich nach praktischen Auswegen zu suchen. Und dieser Fakt bewegt mein Gemüt, den ich wahrscheinlich auch innerhalb meiner Arbeit, anderen Menschen begreiflich zu machen versuche: WIR KLEBEN NUR STÄNDIG ALLE VON MENSCHEN ANGERICHTETE VERWÜSTUNG, IRGENDWIE NUR IN NOTDÜRFTIGER ART UND WEISE ZUSAMMEN UND REPARIEREN IMMER WIEDER NUR DAS ALTE, ANSTATT DEN URSACHEN AUF DEN GRUND ZU GEHEN UND EINE NEUE ORDNUNG ALLEN MENSCHLICHEN ZUSAMMENLEBENS ANZUSTREBEN. Warum hegen und pflegen wir das Chaos, anstatt es endlich zu beseitigen? Weil Geld immer die einfachere, weil, die BILLIGERE Lösung ist?

Die uralten Machtverhältnisse sollen erhalten bleiben und dürfen nicht etwa ins Wanken geraten. Hüben wie Drüben. Das Schlimme, das Üble, es vollzieht sich ja nicht nur im Großen, es geschieht auch im Kleinen. Es ist sozusagen omnipräsent, weil es uns alle mehr oder weniger betrifft. Wenn die Vernunft schläft und sowohl Gier als auch Macht freien Lauf gelassen wird, kommt – das ist nicht anders zu erwarten – nichts Gutes dabei heraus. Nun ist aber leider ein Punkt erreicht und bereits überschritten worden, der unser aller Leben als Erdenbewohner bedroht, denn der Hitze sind Pflanzen und Tiere und auch wir selber auf Dauer nicht gewachsen, weswegen die Eindämmung der Erderwärmung das wichtigste Anliegen sein muss. Es nützt nichts dem ausweichen zu wollen, indem KRIEGE vorgeschoben werden, weil die Bemühungen zu deren Konfliktlösung, angeblich wichtiger sind.

Simonsche Werkstattsituation, Dezember 2023

ZUERST KOMMT DER SCHADEN, ALLES FÄLLT AUSEINANDER, DANN KOMMEN DIE SCHERBEN … und dann die Reparatur.

Ironie des Schicksals. Denn mit den Scherben kommt in meinem Falle, das Beste zum Schluss. Es scheint absurd, aber ausgerechnet diese Scherbenplastiken, die von HEILUNG sprechen, weil ich zusammentrage was einst lose in der Welt herumlag, sind mir derzeit die Liebsten. Sie bestehen zumeist zum größten Teil aus den unterschiedlichsten Arten von SCHERBEN – die überall zu finden sind und werden von mir mit anderen Tonfragmenten, die ich dafür extra anfertige, ergänzt. Das spart Kosten und Energie und ist zudem eine schöne Herausforderung, weil ich mit dem umgehen muss was sich mir bietet und Kontrolle nicht von vornherein, sondern nur bedingt ausüben kann. 

„Mädchen mit Ohrschmuck“, 2022, Maren Grünemitten Simon, allerlei Scherben und Porzellanente, H: ca. 75 cm

Innerhalb meines Lebenslaufes konfrontierte mich das Leben bereits früh mit dem Chaos, das auf uns zukommen würde – denn sowohl das Wetter als auch die Menschen fingen an, sich zunehmend merkwürdig zu verhalten! Innerhalb der Familien nahm die Kälte zu – während es doch aber draußen im Winter, allmählich milder zu werden begann! Die Sommer wurden immer heißer und damit trockener und unberechenbarer. Mit der Übernahme des Ostens durch den Westen wurden uns (trotzdem) mehr „Blühende Landschaften“ prophezeit. Nur leider war die Mehrheit der Leute allzu beschäftigt damit, sich allein um ihre kleinen privaten Interessen zu kümmern, weshalb sie das große Ganze aus dem Blick verloren haben.

Sie merkten deshalb nicht, dass es nur noch Oberfläche aber keine Tiefen mehr gab.

Und mit dem Wohlstand kam auch der Vergleich. Und mit dem Vergleich ergaben sich Fragen. Mit den Fragen entwickelten sich Missgunst und Neid. Beide sorgten dafür, dass es zunehmend schwerer wurde miteinander zu reden, der Vorurteile wegen, die plötzlich im Raume zwischen den Menschen standen, wo es früher kaum welche gab. Sie halfen zunehmend dabei, sämtliche Schichten innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, mehr und mehr zu vergifteten. Rivalität, Konkurrenz, Eifersucht und Selbstzweifel machten sich breit, einhergehend mit Minderwertigkeitsgefühlen – vor allem jedoch mit Angst. Der Überfluss und die Vielfalt an Konsumgütern, die nun in den Regalen standen, der war deshalb auch bald nicht mehr in der Lage, all die aufgestaute Wut zu kompensieren.

Nur wussten das die ehemaligen DDR-Bürger damals noch nicht. Sie sehnten sich, das klingt heute ein wenig naiv, nach Luxus und Farben und nach Düften. Und sie wollten endlich Reisen können. Doch solcherart Ausgebliebenes, das fördert nun aktuell mehr und mehr Unzufriedenheit zutage, eine gesteigerte Aggressivität untereinander ist das Resultat davon. Was dann manch einer mehr, der andere weniger, zu spüren bekommen sollte.

Manche begehren jetzt auf, indem sie sich allem verweigern.

Die sich auftuenden Brüche und Verwerfungen innerhalb der Gesellschaft, fülle ich im übertragenen Sinne mit den Scherben, die ich finde, wieder auf. Wenn ich in der Natur unterwegs bin, dann bücke ich mich andauernd, denn sie liegen ja praktisch überall herum! Ich habe nicht nur meine Freude daran sie zu verwenden, ich repariere dank ihrer Hilfe außerdem meine eigene geschundene Seele. Denn auch ich habe mit dieser Gesellschaft ein Problem. Ich passe da nicht rein, heute ebenso wenig wie ich bereits gestern schon nicht reinpasste, als wir noch den Sozialismus zu ehren und zu preisen hatten. Was nämlich auch nicht immer einfach war … Haben die Leute heute „Rücken“ (im Nacken oder am Steiß) so plagten manche DDR-ler zu damaliger Zeit ebenfalls gewisse Haltungsprobleme, die auch Rücken machten, aber eben halt anderswo, mehr undefiniert … mittig … gelegen.

Dabei waren wir früher schon super fortschrittliche Leute gewesen, so bescheiden wie wir lebten. Unsere Leben sind aber ähnlich denen der Polterabend-Teller aus Großmutters Schrank, die zerschlagen im Müll landeten gleich nachdem sie ihren Einsatz gehabt hatten, leider wertlos geworden. Wir waren unseren WERT plötzlich LOS! Heute sind die Unterschiede – dank Persil für alle, nicht mehr zu riechen. Aber damals fühlten wir uns minderwertig ohne all das überflüssige Gedöns des Westens, gaben unsere einfachen Leben her und jagten anderen Idealen nach. Mit dem Deal, den wir Ostdeutschen ohne Zögern eingegangen sind, gaben wir alle Gestaltungsmöglichkeiten auf – zugunsten einer neuen Ordnung, der das Geld näher als die Demut war, auf die gut verzichtet werden konnte.

Und das war falsch.

… im Wald gefunden: „Mein inneres Kind“

Was gesellschaftlich geht, das funktioniert genauso gut auch innerfamiliär! Mit dieser Feststellung bin ich nun bei mir selber und meinem eigenen SCHERBENHAUFEN angekommen. Denn mit einem Schlag kann es passieren, dass aus Menschen Sündenböcke, schwarze Schafe, schwarze Peter oder Bauernopfer gemacht werden – nicht umsonst hat unsere detailfreudige Sprache so derart viele Varianten parat, für jene, die ausbaden müssen, was andere verbockt haben!

Deshalb betrachte ich Scherbenes, Kaputtes und wertlos Gewordenes heute mit anderen Augen. Denn auch ich bin ein schwarzes (Familien-) Schaf, das mit seinen eigenen gemachten (bösen) Erfahrungen, die ihm einst aufgebürdet wurden und nun auf seinen Schultern lasten, genauer hinschaut! Genauer jedenfalls als die anderen Schafe, die sich ihrer Verantwortung entziehen und sich deshalb überhaupt die schwarzen für ihr Seelenheil zum Überleben halten! … müssen.

Seit bald 35 Jahren bin ich als bildende Künstlerin tätig. Anfangs war ausrangiertes, zartestes PAPIER das Material meiner Wahl gewesen, um darauf zu malen. Zum geschmeidigen TON, mit dem ich in der Lage war dreidimensionale Werke zu schaffen, kam ich erst später, mehr oder weniger zufällig. Vom Papier über den Ton hin zu den SCHERBEN mit MEHRWERT, die nun also in den letzten 10 Jahren, immer wichtiger für mich wurden, war es nur ein kleiner Schritt gewesen. Und auch hierbei interessierte mich eine glänzend-glatte Oberfläche, beispielsweise in Form bunter und effektvoller Glasuren, nicht. Ich bevorzuge – im Gegenteil – das brüchige und raue, eher schlichte Erscheinungsbild. Mühsam tastete ich mich vor und anfangs ging auch manches daneben. Und eines schönen Tages band ich eine solch ‚Verunglückte‘ einfach zu Testzwecken in die nächste Arbeit mit ein, denn ich sträubte mich dagegen, unnötigen Abfall zu produzieren. Und siehe da, das Ergebnis verblüfte.

Fortan sollte die Scherbencollage zu einem bevorzugten Gestaltungsmittel werden.

Ich begann zu sammeln, zu bewahren und zu sortieren. Mit den Jahren entstand eine ansehnliche Scherbensammlung, denn es wurden immer mehr; ich hielt jetzt regelrecht Ausschau nach ihnen und fand bald so viele davon, dass meine Werkstatt irgendwann überquoll. Bei jedem Spaziergang bückte ich mich, hatte immer eine Tüte dabei oder zumindest im bequemen Armee-Tarnmuster-Gebirgsjäger-Parka, gleich VIER übergroße Taschen.

Waren meine Funde anfangs noch nicht ordentlich nach Farben sortiert, sondern gelangten eher wild und zufällig zum Einsatz, änderte sich das irgendwann. Denn jetzt begann ich in Kästen, Schachteln und Eimern die unterschiedlichsten Varianten von scherbenen Stücken in allen möglichen Erscheinungsformen und Farben oder auch unterschiedlichster Größen, hübsch voneinander getrennt, aufzubewahren. Ähnlich wie der Maler auf seiner Palette Tupfen von Farbe aus der jeweiligen Tube quetscht, die er entsprechend wählt, greife ich inzwischen auf die Schachteln, Kisten und Eimer zurück, die wild um mich herumstehen, wenn ich im Arbeitsprozess stecke. Wer keinen Sinn für das kreative Chaos hat, welches nach meinem Empfinden nicht nur als rein negativ anzusehen ist, der wird, der kann mich nicht verstehen. Dem Ordentlichen wird beim Anblick meiner vermeintlichen Unordnung übel. Aber ich brauche sie, diese mich inspirierende, andere Form von Ordnung; nur so bin ich in der richtigen Stimmung und in der Lage, immer sofort da weiterzumachen, wo ich tags zuvor, aufgehört habe.

Hier kann Albert Einstein mit seiner mich tröstenden ‚Erkenntnis‘ vielleicht als Vermittler fungieren: „Geniale Menschen sind selten ordentlich. Ordentliche selten genial.“ … und vor die gelungene VOLLENDUNG hat Gott deshalb auch die TAT gesetzt. Das sollte bedenken, wer eine Künstlerwerkstatt oder auch die Lebensräume desselben, betritt und sollte sich also üble Nachreden über Staub- und Krümelansammlungen und all das, was Räume u. a. gemütlich machen hilft, also besser verkneifen. Es gibt schließlich Schlimmeres und wo gehobelt wird, da fallen nun einmal auch Späne.

Nur unnötig plempern, matschen und kleben (auf Oberflächen) darf es bei mir nicht … da bin ich sehr eigen! Diese Bereitschaft zum ‚Herumsauen‘, die gibt es bei mir nicht. Ich halte mich bei aller Großzügigkeit, an eine konkrete Vorstellung von Arbeitshygiene.

„Perlmutti“, 2023, Maren Grünemitten Simon, Terrakotta kombiniert mit groben und feinsten Scherben, Höhe ca. 73 cm

Doch zurück zu meinen Scherben, bei denen ich auch auf die verschiedenen Stärken zu achten habe. Nicht immer passen dicke, flache und höhere Scherbenstücke zueinander, selbst, wenn die Farben sich ergänzen. Aus zartem, cremefarbenem Porzellan eines Kaffeeservices, kann ein Gesicht entstehen und mehrere kaputte schwarze Kacheln werden dann, in viele Einzelteile zerschlagen, zur riesigen Frisur dafür. Deshalb liegen zur Auswahl auch so derart viele von ihnen lose herum, damit ich meinen Blick darüber gleiten lassen kann, um die jeweils Geeignetste auch schnell zu finden.

Bis das Portrait steht.

Inzwischen weiß ich, diese Arbeit ist nicht nur mühsam, nein, sie ist die reinste Therapie! Denn ich habe damit im letzten Drittel meines Lebens nun genau jenes Material gefunden, dass es mir gestattet, auf eindringlichste Weise nicht nur die gesellschaftlichen Brüche, sondern auch den eigenen fragilen Seelenzustand widerzuspiegeln! Stück für Stück setze ich die kleinen Steinchen in unendlicher Geduld übereinander. Dabei lässt sich gut nachdenken über Gott und die Welt. Mich da reinzuknien benötigt Zeit und bedarf der totalen Hingabe.

Die Kritiker unterschätzen diesen Zeitfaktor gern, wenn sie auf den Preis schauen.

Die ersten gesetzten Solitäre entscheiden wohin die Reise geht, die sich dann monatelang hinziehen kann. Es ist mitunter zum Haareraufen; manche Teilchen wollen sich partout nicht miteinander arrangieren! Wie bei den Menschen im echten Leben auch! Demut ist die oberste Maxime, um trotzdem ein Kunstwerk zu produzieren, das – ehe es nach der Endbehandlung wunderbar zu leuchten anfängt – erst einmal für lange Zeit ziemlich ‚scheiße‘ aussieht, wie der Fachmann sagt – aber trotzdem liebgehabt und umarmt werden will.

Mit der Mosaikzange bringe ich sie in Form. Ich verzichte aber auf Tricks, die eine schnelle Lösung erwarten lassen, denn schnell ist nie eine gute Entscheidung! Weder klebe ich die Steinchen auf einen Untergrund, noch ist ein Netz aus Draht unten drunter, in welches sie komfortabel eingebettet werden. Das wäre ja dann auch keine Kunst! Ich setze sie Kante auf Kante. In diese ‚Gefäße‘, die unter meinen Händen ganz behutsam entstehen, fließen während der Arbeit alle meine Gedanken mit hinein, was Wochen, ja Monate dauern kann. Bis irgendwann der letzte Stein gesetzt ist! Ein wahrlich erhebender Moment.

Innerhalb eines Jahres fertige ich auf diese Art (unter anderem!) vielleicht vier bis fünf solcher Plastiken, dabei arbeite ich an mehreren gleichzeitig und wechsele immer wieder von einer zur nächsten, um mich nicht allein an einer Sache festzufahren. Inzwischen ist es nicht mehr nur der Zufall, der vorgibt was geschieht! Zusammen zu den bunten Wald- und Wiesenscherben gesellt sich manchmal irgendwelcher Nippes hinzu. Daraus werden dann Skulpturen, die den Zeitgeist einzufangen scheinen. Immer schräger und immer absurder werden sie, die alle etwas Kostbares an sich haben! Dabei ist rein gar nichts ‚kostbar‘ daran. Das wird es erst dadurch, dass der ganze Schnulli mit eingebunden und auf diese Art, zu Höherem befördert wird.

Was will die Künstlerin uns damit wohl sagen?

Ja was? … manchmal weiß ich das auch nicht! Es ist dann weniger eine direkte, als eher nur eine unserer Zeit geschuldete Aussage, die ich treffe. Ich möchte ja nicht immer nur um mich selber kreisen müssen. Nur zur Routine oder Marotte darf dieses Tun (unsere Zeit unbedingt abbilden zu wollen) nicht werden! Denn wenn man erst einmal damit anfängt, ein Gestaltungsprinzip daraus zu machen, zielstrebig suchend und sich danach richtend, das „Besondere“ finden zu müssen, wird man nie wirklich frei sein können, sondern wird immer nur ein Gefangener seines Materials bleiben! Deshalb nehme ich zwar gern mit was mir rein zufällig begegnet und freue mich darüber – ich forciere oder erwarte aber nichts. Ich bin in Dankbarkeit mit dem zufrieden was kommt und bin mit dieser Herangehensweise noch nie aufs sprichwörtliche Glatteis geführt worden.

„Vogelfreundin“, 2022/23, Maren Grünemitten Simon, Terrakotta, CD, Nippes und Scherben aus dem Wald, Höhe ca. 75 cm

Wenn dann das Werk in ganzer Pracht (hergestellt aus Müll und Resten und dem, was andere ausrangierten oder wegwarfen) endlich vor mir steht, ist das als schaute ich in einen Spiegel … ich nehme mich sozusagen selbst in (und auf) den Arm und freue mich dann über mich selber – die reinste Psychologie! Denn auch ich bin ja alles andere als vollkommen! Keiner ist perfekt. Das Absurde und sämtliche Vorurteile Unterwandernde gefällt mir, oder auch Kontraste (z. Bsp. Schön und Hässlich), dazu dieses Spiel mit dem Unperfekten aber Liebenswerten, alles das macht mir – bei aller Nachdenklichkeit – auch sehr viel Spaß.

Mein Ego ist gar nicht so groß, wie angenommen.

Trotzdem stehe ich unter Beobachtung und damit unter Druck: Zugegeben, so manche Extrabehandlung, die ich erhalte oder die mir widerfuhr, war und ist nicht schön. Das stimmt. Ich weiß, das beschäftigt viele: Die fragen sich dann; wie kommt die Simon mit alldem Scheiß an ihrer Backe trotzdem über die Runden? Ich kann sie alle trösten, denn ich habe doch zum Ausgleich meine Arbeit! Sie, meine üppige Kreativität, verhilft mir dazu die Augen stets offen zu halten, um zu sehen was hinter Allem steckt.

UND – ich habe ja solche Sorgen nicht nur alleine. Im Zusammenhang mit der Abarbeitung meiner vielen Baustellen höre ich extra Musik, die zu meiner jeweiligen Lage passt. Die Auswahl kann daher sehr unterschiedlich sein. Wahrscheinlich vermutet das jetzt (.-) manch einer nicht, aber „Rammsteins“ „Eifersucht“ höre ich derzeit (mich mit Erbangelegenheiten befassend) besonders gern und amüsiere mich über den Humor in dieser ernsten Sache: Eine einzige virtuose Köstlichkeit! Ich muss schon sagen, wie dieser Zustand – indem sich eine Person befindet, wenn se hat, was die andere nicht hat – beschrieben wird, das ist sehr gut beobachtet: … Es kocht die Eifersucht … Hab ich so glatte Haut zieh sie in Streifen ab / Hab ich die klaren Augen nimm mir das Licht/ Hab ich die reine Seele töte sie in Flammen … töte mich und iss mich ganz auf dann iss mich ganz auf – doch leck den Teller ab.“ Die für mich passende Zeile müsste wohl wie folgt lauten: Und bin ich die Erstgeborene, dann stoße mich von meinem Thron! Aber mach schnell und warte nicht zu lange.

Viel schöner wäre da natürlich, wenn es stattdessen hieße: „Interessante, oft verkannte Tante“, ein Lied, das ich (u.a.) ebenfalls gern höre, nicht nur, weil auch ich solch eine alte ‚Tante‘ bin (aus dem Musikalbum „Liebeslieder an Deine Tante“ von Sebastian Krämer).  

So lag es dann irgendwann auch nahe, nur noch einem sehr kleinen Kreis von Menschen zu vertrauen und diesen Wenigen Einblick in mein Gefühlsleben zu gewähren. In ihrer Mitte darf ich mich sensibel geben, um sein zu können, wie ich bin. Denn es begann selbst innerhalb meines direkten, familiären Umfeldes unerträglich zu werden, weil mir alles, aber auch ALLES zum Vorwurf gemacht wurde. Egal was, es war immer falsch. Andere, mir fremde Leute, galten als die besseren Begleiter. So FALSCH wie ich angeblich war (mich so fühlen sollte!) und das noch immer bin und bleiben werde, kann ich dagegen nichts tun. Damals sagte ich mir, na dann ist das eben so! PUNKT. Was aber nicht heißen soll, dass es mir nicht trotzdem sehr wehtat.

Und ich erlöste deshalb diese Zeitgenossen, die mir nicht gut taten, von dem Umstand mich noch länger als nötig ertragen zu müssen und ging künftig meine Wege ohne sie. Allein.

Hätte ich nicht all die Jahre über, diesen EINEN liebenswerten Menschen an meiner Seite gehabt, der mich in dieser elenden Zeit hielt, dann weiß ich nicht, wo ich heute stünde. Es gäbe mich vielleicht nicht mehr! Das Gemeine dabei war, dass es – ohne Ausnahme – alle Ebenen und alle Kreise meines Lebens gleichermaßen betraf. Interessant ist zu erwähnen, dass heute nun, da der Schaden nicht mehr zu leugnen und auch nicht mehr zu reparieren geht, jede Ebene bei der Schuldfrage auf die andere verweist.

Innerhalb meiner kleinen Familie mit Mann und Kind fühlte ich mich aber gut aufgehoben. Es war nicht immer leicht für meinen Mann, doch er akzeptierte, dass meine kreative Kraft den Ausgleich zu jenen negativen Energien bedeutete, denen ich ansonsten schutzlos ausgeliefert gewesen wäre. Er unterstützte meine Arbeit und stärkte mir den Rücken, so war ich in der Lage mithilfe meiner Kunst, das mich heilende Potential in mir selbst zu finden. Es waren also neben meiner eigenen kleinen Familie, vor allem meine künstlerischen Fähigkeiten, die mich damals vor dem Schlimmsten bewahren halfen.

Heute bin ich deshalb auch in der Lage zu sagen; natürlich ist jede Form von Mobbing ärgerlich – aber die Künstlerin sagt trotzdem: Danke! Weil meine Emotionen stets gut trainiert wurden (und werden) bekam ich automatisch einen Zugang zu den tieferen Schichten meiner Persönlichkeit, was eine gewisse Sensibilisierung nach sich ziehen musste. Ohne die kommt kein Künstler aus. Verdrängung, also das, was die meisten Menschen mit ihren Gefühlen so gern tagein tagaus tun, ist da total kontraproduktiv, denn Emotionen, vor allem die negativen, müssen zuerst einmal erkannt worden sein, ehe man sich von ihnen wirksam befreien kann.

Und deshalb kommt DAS BESTE ZUM SCHLUSS!

„Kleine Frau mit Nudel“, 2023, Maren Grünemitten Simon, Collage aus goldenen Teeservice- und anderen Scherben und Vögelchen, Höhe ca. 80 cm

Nebenstehende „Kleine Frau“, das ist unschwer zu erkennen, die bin ich natürlich selber. Die reinste Provokation! … schon wieder. Doch eigentlich – und wer mich kennt, der weiß das auch – ist die gülden-glänzende, opulente Tante, jedoch eher als eine harmlos-lustige zu begreifen. Ich hatte es zuvor weder auf witzig noch auf lustig oder sonst was angelegt, es ergab sich vielmehr von ganz allein – des Goldes wegen, das zu mir sprach. In dieser Übertreibung steckt nun das ganze Potential, das mein Dilemma so hervorragend zum Ausdruck bringt! … und mit Worten nicht besser auszudrücken wäre. An ihrem Hinterkopf prangt ein dicker Borstenpinsel mit Gebrauchsspuren daran, denn auch ich bin im wirklichen Leben nie ohne, bin nie ohne Pinselquaste anzutreffen! Mir reicht es aus zu wissen, dass ich eine üppige Haarpracht habe! … muss diese nicht extra im Gesicht herumzuhängen haben. Im Gegenteil – ich brauche stets eine freie Sicht.

Dieses Selbstportrait ist nicht zu verkaufen. Sie bleibt bei mir, denn sie trifft ins Schwarze.

Weil ich alle diese, im Leben gemachten Erfahrungen, die guten wie die schlechten, also leicht hervorkitzeln, abrufen und ausdrücken kann, ließ sich mein – schon damals auf dem Höhepunkt seines Könnens befindliche Unterbewusstsein – nicht lumpen und machte mir (2019) dieses Geschenk in Form einer famosen Idee: Mutter Deutschland mit ihren zwei Kindern – dem Ossi und dem Wessi. Mit dem Aufbau dieser Plastik war ich in der Lage nicht nur die Übernahme des Ostens durch den Westen mit seinen Folgen zu verarbeiten, sondern gleichzeitig – meine eigene Familienhistorie zum Vorbild nehmend – alle meine Kümmernisse (über etliche Jahre der Entstehung hinweg) da hineinfließen zu lassen. Was konnte es also Geeigneteres dafür geben als dieses famose Angebot mittels eines riesigen Haufens von allerlei verschiedenen Scherben, die ich in der Werkstatt bereits herumzuliegen hatte, in die Tat umzusetzen? Viele Fliegen, eine Klappe! Einschließlich der Tatsache, wenigstens eine klitzekleine Zeitlang wieder eine ordentliche Werkstatt ohne den herumliegenden Müll, gehabt zu haben.

Deutschland befindet sich aufgrund seiner instabilen Basis in Schieflage und keineswegs in gesunder Balance. Angeblich ist ja der allgemeine Frust der Ostdeutschen ein Grund dafür, wieso die AFD so stark werden konnte, ich aber sage – schuld ist immer die Mutter. Und deshalb verzichtete ich bei der großen Tante bewusst auf ein Gesicht. Vielmehr war mir daran gelegen, sowohl Schön als auch Hässlich nicht bedienen zu müssen. Denn das, hätte vom Wesentlichen doch nur abgelenkt – ich wollte es also neutraler haben. Die Gesichtsform blieb deshalb als solche auch nur angedeutet, das heißt, das Oval ist innen hohl. Die Deutschen gelten in der Welt als unterkühlt, korrekt und distanziert, da bedarf es keiner großen Emotionen – nicht im Gesicht! Aber schaut man genauer, dann sieht man als Betrachter, dass ihre beiden Kinder, eines zu ihrer Linken, eines zu ihrer Rechten, beide an der mütterlichen Brust, sehr wohl ein Gesicht haben. Sehr unterschiedlich blicken sie in die Welt – leicht besorgt schaut das Ossi und etwas gelangweilter der Wessi. Denn dieser kennt sich mit allen Tricks und Kniffen bestens aus, die wir Ostdeutschen – auch nach den vielen Jahren EINHEIT, noch immer nicht draufhaben.

„Bewegtes Leben“, 2024, noch in Arbeit befindlich, Maren Grünemitten Simon, Scherben-Collage, Höhe bis jetzt: ca. 60 cm

Handwerkerabfall und Bauschutt, der vom Baugeschehen der Wendezeit berichtet, von Erneuerung und Aufschwung und von „Blühenden Landschaften“, der kommt noch immer regelmäßig aus der großen Stadt und liegt dann vom örtlichen Erden-Platz-Team bestens aufbereitet, auf den ländlichen Waldwegen zu deren Befestigung, einfach so herum. Um dann dort von mir gefunden zu werden. Besonders der letzte, obere Teil meiner Plastik, der besteht aus solch kleineren Scherbenstückchen, die zarter sind als die unten verbauten, großen. Zum Einsatz gelangten außerdem Goldrand- und andere perlmutterartige, feinere Scherbenstücke, die deshalb auch empfindlicher sind. Sie wurden nicht gebrannt, sondern miteinander verklebt.

Die Goldauflagen hätten die Temperaturen eines E-Ofen-Brandes nicht überstanden.

Stünde nun alles wie gedacht, solide übereinander, käme ich auf stolze 2,50 Meter, was rein technisch betrachtet, in meiner niedrigen Werkstatt leider nicht geht. Und auch die beiden Flügel muss ich mir dazu denken. Ich bin aber erfreut, dass ich zur Demonstration dessen – wie es aussehen sollte – ein Bild als Simulation (wenigstens halbwegs) mithilfe meines Computers hinbekommen habe.

Mit mir daneben, zum ungefähren Größenvergleich.

„Mütterchen Deutschland“, 2021/22/23, Maren Grünemitten Simon, Collage aus Tonfragmenten in Kombination mit groben und feinsten Scherben unter Verwendung von Deko-Früchten, Höhe gesamt: ca. 2,50m

Im Einzelnen heute schon zu entscheiden wie die fertige Plastik auszusehen hat, das ginge nur analog, während der Arbeit an der sich entwickelnden, bronzenen ENDVERSION wofür der (zugegeben sehr fragile) keramische „Entwurf“ sozusagen steht. Denn auch der Sitz der Flügel an beiden Seiten stellt eine besondere Herausforderung dar. Die exakten Stellen, wo sie später mal sitzen sollen, die gibt es am keramischen Original nämlich noch nicht, dafür benötigte ich ein Gerüst. Das ist aber auch zu blöd. Denn, wenn die Macherin vergessen wird in ihre Zeit mit eingebunden zu werden und hinterher nicht mehr gefragt werden kann, müssen sich alle anderen (später) ihren Teil selber denken.

Ob sie dazu in der Lage sein werden? Männer bekommen die Anerkennung für viel weniger einfach so. Von daher ergeben sich für sie, auch andere, viel bessere Konditionen. Meine kritische Haltung passt aber grad niemandem, denn ansonsten hätte ich die Collage des IKARUS aus Knochen und Scherben ja bereits auf gutem Wege. Obwohl die Lage drängt und obwohl es genug Stimmen gibt, die Druck machen, trotzdem aber nicht gehört werden, gibt es anscheinend keinen, der mein Potential in dieser Angelegenheit erkennt. Und vor allem, zu Nutzen wüsste.

Mein Engagement in Sachen Fliesenstückchen und scherbene Resteverwertung geht aber trotzdem weiter. Und ja, auch dieser Umstand passt zu mir: denn natürlich hätte ich auch all das familiär angefallene Porzellan in Form von Scherben, das nach dem Tode meiner Mutter angefallen ist, zu gern zu Kunst weiter verarbeitet. All dies angefallene (und für meine Belange kostbare) zerschlagene Familien-Porzellan ist aber (mit einiger Wahrscheinlichkeit) beim Entrümpeln weggeworfen worden, ohne dass jemand sich dafür interessierte.

Schönstes Porzellan zum Zerschmeißen gibt es aber auch von anderswo!

Und deshalb ist es mir natürlich immer wieder möglich, mich meines finalen großen Themas trotzdem anzunehmen, um mein erlittenes Trauma vollumfänglich abarbeiten zu können, indem ich mir einfach meine eigene „Familie“ neu und so wie mir das gefällt, zusammenbastele! Ich baue inzwischen nicht mehr nur frei erfundene Scherben-Personen auf, sondern verwende seit einiger Zeit mein Recyclingmaterial selbst dann, wenn ich bestimmte (echte) Zeitgenossen portraitieren möchte. Viele derer, die ich auf solche Weise mit meiner Aufmerksamkeit umkreise, zum Beispiel – weil sie meinen eigenen Lebenslauf bereichert haben – zeichnen sich durch eine gewisse Sperrigkeit aus. Leben und Werk weisen in diesen, besonderen Fällen, sehr oft Brüche auf, die von mir aufgespürt und dann während der Arbeit am Portrait, herausgearbeitet werden. Dafür kombiniere ich die frei aufgebaute Plastik aus frischem Ton mit bereits extra zuvor gebrannten Fragmenten und – natürlich, immer wieder auch mit zufällig gefundenen Scherben.

Mit der jüngst entstandenen Portrait-Plastik des Malers und Grafikers Dieter Schumann ist meine Terrakotta-Familie nun wieder um ein weiteres Mitglied reicher geworden. 

Portrait „Dieter Schumann“, 2024, Maren Grünemitten Simon, extra angefertigte Kacheln in Kombination mit frei aufgebautem Ton, engobiert und glasiert, Höhe ca. 73 cm

Der Künstler war ein Freund meines Vaters gewesen und er favorisierte für seine künstlerische Tätigkeit das Material Holz, welches er für seine Holzschnitte brauchte. Dietermann, wie ihn seine Ehefrau Anneliese immer nannte, war in seinen besten Jahren – zu diesem Namen passend – eine großgewachsene, respektierte Persönlichkeit; er war rundlich und kantig in einem, war nie glatt, immer spröde und mitunter provokativ. Auch zu mir. Seine Grafiken und Bilder sprachen im Kontrast dazu, von viel Feingefühl. Sie tun dies auch heute noch; angesichts der dramatischen Entwicklung des Weltklimas – vielleicht sogar noch stärker als früher – jedoch auf eine verschlüsselte, mitunter zum Abstrakten neigende Weise. Von ihm habe ich mir einiges abgeschaut, denn mich beeindruckte sein grafisches Können, das immer sichtbar blieb – trotz Abstraktion.

Der Künstler Dieter Schumann war schon zu DDR-Zeiten ein abstrakter Realist!

„Teatime“, 2019, Maren Grünemitten Simon, Ton frei aufgebaut unter Verwendung von Scherben – darunter auch eine Tasse meiner Schwester, Höhe ca. 75 cm

Mit dem Tod des Vaters begann 1992 mein privates Martyrium innerhalb meiner Herkunftsfamilie als mit ihm deren Mitte, die er uns gewesen war, weggebrochen ist. FAMILIE ist eine Dynastie für sich, da hängt es von vielen Faktoren ab, ob sie funktioniert. Den Verlust des Vaters vermochte jedenfalls unsere Mutter in ihrer Trauer, NICHT zu kompensieren. Und das veränderte alles. Ich fühlte mich in meinem Schmerz nicht verstanden, denn als unsere Familie (wegen des Vaters Liebe zu seiner ältesten Tochter und zur Kunst) total auseinander fiel, wurde ausgerechnet ihm unterstellt, alle anderen deshalb weniger lieb gehabt zu haben – nur, weil sie mit dem Kunstbegriff nichts anzufangen wussten.

Man kann aber nicht erzwingen wollen, Künstler zu werden. Entweder man wird es oder wird es nicht. Ich interessierte mich einfach sehr für Vaters Metier und folgte ihm gern und vor allem, mit Freude! Das war eigentlich alles … doch was wurde erwartet? Und ich frage weiter, was hätte er denn anderes machen sollen? Jeder aufmerksame Vater hätte doch an seiner Stelle genauso gehandelt und hätte sein wissbegieriges Kind unter seine Fittiche genommen! Auch aus diesem Grunde habe ich (in Liebe an meinen Vater denkend) nie ans Aufgeben gedacht. Bin beharrlich und ausdauernd bei der Sache geblieben!

Denn ich spürte bereits als Kind die Berufung in mir.

Nichts steht so gut für FAMILIE, wie Kaffeegeschirr, insbesondere sogenannte feine SAMMELTASSEN! Ich kam in Kontakt mit selbigen durch die Familie meines Mannes, wo sie regelmäßig zum Einsatz gelangten. Vielleicht ist das ja auch heute noch so. Auch zu dieser Familie ist der Kontakt erloschen. Sie wollten ihre Gefühle für sich behalten und sprachen mit uns, ihren älteren, weil erstgeborenen Kindern, nicht mehr als unbedingt notwendig. Daran ist unter anderem die Wende schuld, die aus einst geachteten Persönlichkeiten mit ostdeutschen Biographien, nur noch „Vorgänge“ machte, die, weil vom Westen für weniger wert befunden, sich zwischen zwei Aktendeckel klemmen ließen.

Während aus uns Konkurrenten dieser Elterngeneration (gemacht) wurden!

Angeblich hatten wir es ja so viel leichter, ja, viel zu leicht. Nie ausgesprochen wurde, wieso das so gewesen sein sollte. Ich denke aber, wir waren als Junge freier und unbelasteter, wir waren in der Lage unsere Schritte der neuen Zukunft leichter anzupassen – das dachten sie jedenfalls und es reichte ihnen aus, unsere Generation zum Teufel zu jagen. An diese gepflegten, sonntäglichen Caputher Kaffeestunden, musste ich angesichts dessen, lustigerweise bis vor kurzem noch – je (!) fünfundzwanzig solcher Tassen, Untertassen und Kuchenteller in der staubigen Werkstatt stehen gehabt zu haben – jedenfalls (schmunzelnd) denken. Denn eigentlich wollte ich diese – von mir als spießig und dekadent eingestuften Utensilien des bürgerlichen Lebens – alle verbauen. Und dann befand ich sie jedoch, angesichts ihrer Feinheit, als viel zu schade dafür, weil das ja inzwischen Kulturgut ist. Diese ursprünglich von anderen, ehemals sicherlich sehr glücklichen Familien ausrangierten Exemplare, die ich da zufällig ergattern konnte, die durfte ich doch nicht einfach so zerdeppern?!

Die rebellische Jugend von heute, die vor einem riesigen SCHERBENHAUFEN viel größeren Ausmaßes steht, den alle Generationen vor ihnen produziert haben, blickt notgedrungen mit einer gewissen Melancholie auf alles Gestrige, so auch auf meine Sammeltassen. Das gute Porzellan, es spricht von der guten alten Zeit, als diese noch vermeintlich in Ordnung war! Da kann ich noch so viele meiner SCHERBENSTÜCKE zu Neuem zusammenfügen und zu vermeintlich ‚Höherem‘ befördern wollen, indem ich Kunstwerke daraus mache, kann Kaputtes reparieren, wie ich will – unsere Welt wird davon nicht heiler werden.

Da sind die Wissenschaftler deutlich besser dran, die tatsächlich eine Arbeit leisten, die mehr denn je gebraucht wird. Trotzdem mache auch ich weiter. Vielleicht bewirke ich ein wenig mehr an allgemeiner Rücksicht – das wäre schon viel …

Maren Simon am 18. Januar 2024