DIE NEUE LEIPZIGER SCHULE – kurze, unvollständige Chronologie, entstanden unter Verwendung einer Zeittafel von Julia Blume
1891 konzentrierte sich das breite kunstgewerbliche Angebot in der Wächterstraße in Leipzig zunehmend auf solche Berufszweige, die sich der Buchgestaltung und Buchherstellung verpflichtet fühlten. 1900 erhält die Schule den offiziellen Namen „Königliche Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe“ und konnte sich seit 1914 als Buchgewerbeakademie national und international etablieren. Ab 1940 gesellt sich das „Institut für Farbenfotografie“ als Schnittstelle zwischen Produktion und Anwendung hinzu. Nach den Wirren des Krieges wird die neuaufgebaute Schule, der 2/3 ihrer Bausubstanz durch Zerstörung verloren gegangen waren, als „Akademie für Graphik und Buchkunst – staatliche Kunsthochschule“, wiedereröffnet. Die Werkstätten Lithographie, Holzschnitt und Radierung werden jetzt innerhalb der Ausbildung in den Grund- und Meisterklassen, zunehmend für die freie Grafik genutzt.
1950 erfolgte die offizielle Namensgebung in „Hochschule für Graphik und Buchkunst“, heftige Debatten hatten zu Personalwechsel geführt, u. a. wurden Bernhard Heisig, Werner Tübke und Hans Mayer-Foreyt in die Lehre verpflichtet. 1955 wird das Institut für Buchgestaltung gegründet, die Leitung übernahm Albert Kapr. 1961 wird Bernhard Heisig Direktor, der die Hochschule bis 1964 leiten wird. Nach Gerhard Kurt Müller wird Werner Tübke 1973 Direktor und leitet die Hochschule bis 1976. Ab dieser Zeit tritt erneut Heisig an und bleibt bis 1987 Rektor.
Arno Rink löste ihn 1987 ab und leitete die Hochschule bis 1994.
Dass der Studiengang Malerei zum Ende der 60er Jahre an öffentlicher Aufmerksamkeit gewann und das Außenbild der Schule maßgeblich mitbestimmte, hatte mit einer Malergeneration zu tun, die durch zeichnerische Exaktheit, einen erweiterten Traditionsbegriff, Neigung zur Allegorie und mit Bildern zur Literatur auffiel. Auch im Bereich Fotografie bildete sich etwa zur gleichen Zeit eine engagierte Sichtweise heraus, die im Blick auf den Einzelnen die gesellschaftliche Wahrheit schonungslos vorführte.
Buchgestaltung, Fotografie und Malerei waren somit zu den drei tragenden Säulen dieser Schule geworden. 1979 eröffnete die Galerie der HGB. 2014 feierte die Hochschule für Grafik und Buchkunst ihr 250-jähriges Jubiläum.
DIE ALTE UND DIE NEUE LEIPZIGER SCHULE UND ICH.
Die sozialistischen Auflagen lockerten sich, jüngere Kollegen rückten nach und im „Elfenbeinturm“ in der Wächterstraße in Leipzig, war es deshalb zu meiner Zeit, Ende der achtziger Jahre, auch möglich geworden, das Unmögliche frei auszusprechen. Unter Heisigs Feder vollzog sich zeitgleich mit der Wende Anfang der neunziger Jahre, der Wandel von der alten zur Neuen Leipziger Schule. Innerhalb dieser als „Revolution“ zu bezeichnenden Bewegung, setzten die Neuen die Tradition der Alten fort, indem sie deren realistisch und figurativ betonten Stil zur Grundlage nahmen und ausbauten und ins Phantastische weitertrieben, was später dann gemeinhin als Neuinterpretation der traditionellen Malerei, dargestellt wird.
Das Besondere am Geschäftsmodell Neue Leipziger Schule ist immer wieder die stark figürliche Ausrichtung. Überall auf der Welt trifft diese Malweise den Nerv von Sammlern und Liebhabern. Wobei meist akribisch gemalte, feinste Naturbeobachtungen die Kulisse dafür abgeben, um Geschichten zu erzählen, die von einer gewissen Melancholie oder Rätselhaftigkeit durchdrungen sind und mitunter erklärender Worte bedürfen, sie zu verstehen. So auch bei mir und meinen eigenen Werken. Von Kritikern wird diese fabulierende Sicht auf die Welt auch heute noch gern abgetan, trotz (oder aufgrund) ihres Erfolges. Doch die nicht nur fabulierenden, sondern überaus kritischen Realisten unter den Leipziger Schülern sprechen aus, was andere gern umgehen würden und sich nicht zu trauen sagen. Darin liegt ihre Stärke!
Die heute erfolgreichen Vertreter der Neuen Leipziger Schule sind Künstler, die sich mitten drin in diesem revolutionären Umwälzungsprozess befanden; wie beispielsweise Neo Rauch, der ein Studienjahr weiter als ich, nach seinem Diplom und den Jahren als Meisterschüler bei Bernhard Heisig und Arno Rink, selbst Studierende ausbildete. Mit ihm und vor allem durch das Zutun seines späteren Galeristen, Gerhard „Judy“ Lybke, der damals allen bekannt als junger Mann in der HGB als Aktmodell arbeitete, entwickelte sich ein regelrechter Hype um typisch deutsche, realistisch gemalte und mitunter systemkritische Bilder aus ebendieser Neuen Leipziger Schule.
Dieser Ruf und die damit verbundenen, neidauslösenden Privilegien meiner Kollegen, hatten zur Folge, dass ich, die ich ebenfalls von der Zugehörigkeit zur HGB hätte locker profitieren können – was jeder an meiner Stelle natürlich getan hätte, weshalb es mir auch unterstellt worden ist – Häme und Missgunst entgegenschlug. Ein Mann wäre hofiert worden – mir als junger Frau, versuchte man jedoch jede Illusion – meinen Platz als Künstlerin innerhalb der Welt der Kunst zu finden -, auszutreiben und versagte mir von daher jede Unterstützung.
Infrage stellend, was diese Erfolgreichen meiner Generation erreicht hatten, revoltierten naturgemäß die nachrückenden Jüngeren, indem sie zunehmend abstrakter wurden. Neben Ölfarben und Eitempera fanden jetzt auch vermehrt Acrylfarben Verwendung, wofür robuste Kunsthaarpinsel zum Einsatz gelangen. Pasten, Spachtel, Klebebänder und Spraydosen, Gummiwalze und Rakel, wie Gerhard Richter sie benutzt, lassen der Experimentierfreude freien Lauf. Mit der aufkommenden Generation der Neuesten Leipziger Schule verschwimmen nun somit die einstigen Grenzen ganz und gar. Sogar gegenstandslose Farbflächen „ohne Titel“ und ohne jeden realistischen Bezug, finden Eingang in die Kunstwerke dieser jungen Maler-Generation, mitunter sogar ausgestattet mit 3D-Effekten.
Das Thema „Figuration versus Abstraktion“ ist heute keines mehr.
Damit ist die Leipziger Schule nach über dreißig Jahren deutscher Einheit aber auch dort angekommen, wo der Name nicht mehr hält, was er verspricht. In diesem Zusammenhang sei mir gestattet, diese Entwicklung des sich andauernden Berufens auf die Alten, die den Ruhm einst begründeten – recht albern zu finden. Zumal, wenn die rigorose Anpassung alle Grenzen verwischend, dazu führt, das erzählerische Moment mehr und mehr in den Schatten zu rücken, um zu hofieren und zu feiern, wogegen sich die Alten einst zur Wehr setzten. Wird also folglich nach der Neuesten Leipziger Schule (der Abstrakten) die Allerneueste Leipziger Schule (mit was auch immer) kommen müssen?
Und was, wenn uns die Superlative ausgehen?
Von 1982 bis 1987 war ich Studentin in Leipzig – konkret in der Abteilung Buchgestaltung. Mit dem Erhalt des Diploms schloss ich 1987 als Buchgestalterin und Typographin dort ab. Selbst einmal Bücher zu gestalten – soweit sollte es jedoch nie kommen. Meine Möglichkeiten zur Entwicklung auf diesem Gebiet wurden durch die Wendejahre jäh ausgehebelt und alle meine Pläne wurden durchkreuzt.
Anders als viele meiner Kommilitonen, vor allem jene, die nachkamen, als die neue Gesellschaftsordnung Fahrt aufnahm, saß ich immer zwischen den Stühlen und tu dies eigentlich auch heute noch. Ich lebe und arbeite wie aus der Zeit gefallen. Vielleicht, so ahne ich inzwischen, ist aber gerade dieser Umstand, nicht das Schlechteste, was mir passieren konnte! Im Gegenteil. Ich sitze gut geschützt wie in einer Blase, ich habe (jedenfalls gedanklich) gute Sicht und Zugang nach draußen, doch drinnen bleibe ich ganz bei mir selbst und das – relativ ungestört. Denn ich kann es mir leisten völlig losgelöst nur das zu machen, was ich für richtig halte. Ich schaue weder nach rechts noch nach links dabei und muss mich auch nicht verbiegen. Meine Themen suche und finde ich ohne Ausnahme selbst und auch die Wahl der Mittel liegt allein bei mir. Die Entscheidung treffen zu müssen, ob ich abstrakt oder realistisch arbeiten will, ist darum auch für mich kein Thema mehr.
Ich verließ meine Ausbildungsstätte 1987 zunächst ohne zu wissen, wohin. Mir wurde lediglich eine leider sehr wenig motivierte „Mentorin“ zur Seite gestellt, die sich u. a. als Illustratorin betätigte, was vielleicht der Grund dafür war, dass wir nicht zueinander passten, da auch ich Bücher gestalten wollte. Es war mir jedenfalls unmöglich Fuß zu fassen, denn die alten Hasen bangten während dieser Zeit ihrerseits um ihre Positionen und verhielten sich von daher unsolidarisch – so jedenfalls meine Erfahrung. Auf der Suche nach einem geeigneten Verlag blieb ich deshalb als ‚Konkurrentin‘ und ohne Ansprechpartner/innen auf mich allein gestellt.
Wohnungssuche und fehlender Arbeitsraum dazu die Geburt unseres Sohnes Carsten 1988, belasteten die Familie sehr. So kam es, dass ich mich weder zur DDR-Zeit in Lohn und Brot befand, noch später, als sie zusammenbrach, Wege sich für mich eröffnen sollten, Arbeit in einem Verlag oder anderswo zu finden. Blicke ich heute auf diese schwere Zeit zurück, dann muss ich sagen, nicht traurig darüber zu sein! Wäre alles in geordneten Bahnen verlaufen, dann wäre ich heute sicherlich Illustratorin und Bücher wären mein Leben.
Ich hätte aber nie erfahren, was alles noch in mir steckt!
Zuerst erkundete ich die Umgebung in und um Potsdam malend, denn ich musste etwas tun! Später, nach unserem Umzug aufs Land, entdeckte ich bei solch einem Ausflug die Glindower Alpen für mich und damit auch die dortige Ziegelei und vor allem das geschmeidige Material, welches mir den Zugang zum dreidimensionalen Arbeiten ermöglichen sollte – die TONERDE.
Heute bezeichne ich mich selbstbewusst als Bildhauerin. Damals sammelte ich in Glindow viele wertvolle Erfahrungen, die mir dabei halfen, zu meiner sehr eigenen Arbeitsweise – auch ohne das entsprechende Studium – zu finden.
Vielleicht gab mir gerade dieser Umstand, nie konkret das Fach Bildhauerei als solches studiert zu haben, aber auch die nötige Freiheit, die ich deswegen in mir trage. Diese innere Freiheit des Umgangs mit den Mitteln der Kunst gestattet es mir, sowohl in realistischer als auch abstrakter Formensprache zu denken und beides wie selbstverständlich miteinander zu verbinden, wenn ich meine Arbeit mache. Mit den einstigen Traditionen mag das nicht mehr allzu viel zu tun zu haben, dafür bin ich inzwischen zu unabhängig geworden. Dennoch zehre ich noch heute davon ein hervorragendes Grundstudium u. a. mit den Fächern Naturstudium und Aktzeichnen absolviert zu haben. Nach wie vor fühle ich mich deshalb auch der Alten Leipziger Schule verbunden, verstand es aber durch rigoroses Abnabeln zu meiner eigenen Formensprache zu gelangen, worauf ich Wert lege, dies extra zu betonen.
Denn es brauchte seine Zeit und forderte Opfer.
Maren Simon, im August 2023