Unterwegs auf den Wassern des Lebens

Auf den Wassern des Lebens sitzt man gewöhnlich – abgesehen von den Eltern und der Familie, die auch immer in Sichtweite sind – allein in seinem Boot und rudert; manch einer von uns leichtgängiger und die Strömung nutzend, ein anderer eher widerständig und gegen den Strom schwimmend, was schwerer ist. Der Mensch als soziales Wesen sucht sich seine Gefährten, mit denen er einen Teil des Weges gemeinsam rudern will, meistens selber aus. Nur ein Stückweit bestimmt der Zufall, auf wen wir treffen. Die Eltern geben hierbei meist den Takt vor, um ihren Nachwuchs gut vorzubereiten. Doch  je älter wir im Laufe der Zeit werden, umso vielfältiger werden die Mit- und Beifahrer, die uns im Leben begegnen. Immer sind wir selbst dafür verantwortlich, wie wir mit diesen Wegbegleitern umgehen, ob wir sie kennenlernen möchten, schätzen und lieben oder ihnen ablehnend gegenüber stehen, oder aber nach einer gewissen Zeit der Verbundenheit, uns wieder aus den Augen verlieren werden.

Einhergehend mit dem Sechzigsten und Gedanken, die meine Jugend und die berufliche Entwicklung betrafen, stöberte ich in der letzten Zeit immer mal wieder vermehrt die alten Fotos durch, alle selbst entwickelt und deshalb in schwarz/weiß gehalten, so war das damals üblich. Da sind die amüsanten Kinderfotos aus dem Babelsberger Milieu und einige wenige aus meiner Lehrzeit als Gärtnerin, die mir in die Hände fallen. Ein paar sind dabei, die in Leipzig entstanden sind; Vater, Mutter und Schwester in der kleinen Dachkammer, die ich dort bewohnte – zeitgleich mit der Lebensphase, da ich mir meinen Mann fürs Leben aussuchte.

Die meisten dieser Bilder hatte mein Vater gemacht.

Unser Polterabend 1985

Ich nahm ein Bild aus dem Stapel „Polterabend“ des Jahres 1985 heraus und stellte es in ständiger Sichtweite auf. Nach all den gemeinsamen Jahren mit ihm, erinnere ich mich wieder genau. Ich sehe einen attraktiven, äußerst schönen  jungen Mann und bin berührt. Sein konzentrierter ernster und zugleich heller Blick, der steht im totalen Kontrast zu dieser ausgeflippten jungen Frau, die er an seiner Hand hält. Ein „Dompteur“ bei seiner Arbeit „am Tiger“, der durch den feurigen Reifen springen soll, muss wohl ähnlich intensiv auf diesen schauen, wie Jörn (auf dem Foto) auf mich (ohne Reifen).

Die Szene nimmt unser späteres gemeinsames Leben vorweg:  Er hält mich, bläst Wind unter meine Flügel und lässt mir doch meine Freiheit, die ich als Künstlerin brauche. Er macht es möglich, dass ich überhaupt in der Lage bin „tanzen“ zu können! Und ich? Was tue ich für ihn an Gutem? Ich bin einfach nur da und an seiner Seite und lasse ihm vice versa die Freiheit, unser gemeinsames Leben zu organisieren. Er kocht und er besorgt alles dafür Notwendige, was wir zum Leben brauchen, während ich sanc souci meiner Arbeit nachgehe und mich um den Garten kümmere, den ich aus dem „Nichts“ erschaffen habe, wie Gottvater damals die Welt.

Heute, in Klimawandelzeiten, beschützt uns sein schattiges Blätterdach zuverlässig – jeden Tag.

Meine Familie war einigen anderen Verehrern von damals jedoch weitaus zugetaner. Und – ich will es nicht unerwähnt lassen – auch umgekehrt war das bei seinen Eltern mit mir, ebenso der Fall gewesen. Doch wir lieben nicht, um anderen zu gefallen! Die Liebe hat ihre eigenen Maßstäbe, nach denen sie handelt. Für sie war es deshalb auch kein Thema gewesen, dass ich zu „ruhig“ für ihn und er zu „spröde und rau“ für mich veranlagt war! Vielmehr ergab die Tatsache – uns dennoch über Widerstände hinweg einander zugetan zu fühlen und es zu bleiben und uns nicht haben beirren zu lassen, – durchaus Sinn.

Der junge Mann trug mich nicht gerade auf Händen, aber er stand immer hinter mir. Er moserte manchmal zu viel, lockte jedoch dadurch meinen Widerspruch provokant immer wieder heraus, deshalb blieb ich ihm wohl erhalten. Heute sehe ich diese Reibung aneinander positiv, wenn es auch manchmal sehr wehtat, aber weil wir beide nicht nachtragend veranlagt sind, hat es trotzdem funktioniert. Und diese Form der „Arbeit“ des einen am anderen, die vermochte dann anscheinend auch das jeweils Beste aus jedem von uns herauszulocken.

Das „Beste“ bei einer Frau – können, müssen jedoch nicht zwingend notwendig, die Kinder sein, die sie bekommt oder auch nicht bekommt. So möchte ich abschließend auch vermerken, dass also zu einem Großteil gerade auch meinem Manne zu verdanken ist, dass ich letztendlich meine Arbeit ordentlich mache. Ich wurde widerständiger und auch streitbarer mit den Jahren, er dagegen ist inzwischen viel ruhiger als früher – so das Resultat.

Wir sind jedoch der totale Gegensatz, noch immer.

Gemeinsames Leipziger Frühstück 1987 unterm Dach in der Sattelhofstrasse 4

Zu meiner Verteidigung, keine „ordentliche“ Frau, sondern vom kleinbürgerlichen Standpunkt aus betrachtet, eine totale Niete zu sein, muss ich sagen, ich täte diesem Manne wirklich keinen Gefallen, würde ich ihm den Platz in „seiner“ Küche streitig machen wollen! Denn dort lebt er seine ganz eigene Form von Kreativität aus, die zwar eine andere als die meine ist, aber nicht minder wichtig! Besonders auch für ihn selbst. Hineinreden lassen wollte er sich in sein Leben nicht mehr; er, dessen Berufswunsch eigentlich „Chirurg“ gewesen war und der dann „Maschinenbau“ studierte, weil der Vater es so wollte …

Natürlich sollte er sich dann auch damit vortrefflich arrangieren. Seinem Faible für Zahlen verdankt er, dass er sich letztendlich auch im technischen Milieu durchzusetzen vermochte. Und der Freundeskreis, den er nun hat, den verdankt er ja auch allein diesem Umstand, sich von ihm damals haben umstimmen zu lassen. Dem Vater war lediglich wichtig gewesen, dass der Sohn in seine Fußstapfen tritt; es ging angeblich um die finanzielle Rückendeckung, also entschied er auch. Jörn leistete aber drei volle Jahre Wehrdienst ab, um automatisch ein Stipendium ermöglicht zu bekommen. Somit war der gut verdienende Vater raus. Heute kann sich kaum noch einer vorstellen, unter welchem Druck junge Männer (und ihre Freundinnen oder Ehefrauen) damals standen. Die 5 Jahre jüngere Schwester hingegen, durfte den medizinischen Weg, den sie für sich ebenfalls als richtig erachtete, gleich nach dem Abitur einschlagen – ohne elterliche Einschränkungen. 

Auch Jörn schaute kürzlich seine alten Fotos durch.

Er hielt seine Beziehungen am Leben zu den damaligen Kommilitonen der TU Dresden, im Gegensatz zu mir, die ich zu meinen StudienfreundInnen kaum noch welche habe. Der Dresdener Freundeskreis trifft sich ab und an zum gemütlichen Beisammensein, noch immer. Und deshalb suchte auch mein Mann nach einem Jugendfoto eines dieser Freunde, weil er es ihm als Geschenk – hübsch eingerahmt – mitbringen wollte. Denn die Frage wird ja nun immer öfter gestellt; womit können wir anderen in unserem Alter, die alles haben und zu ihrem Glück nichts mehr brauchen, überhaupt noch eine Freude machen? Ohne, dass dieses Geschenk dann zu einer Last wird, Platz benötigt oder gewartet werden müsste oder sonst wie Umstände machte?

Im Gegensatz zu mir, die ich eine „lose“ Fotosammlung mein eigen nenne, befinden sich seine Fotos alle gut sortiert in Klemmordnern, nach Studienjahren geordnet. Zur Geburtstagsfeier brachte er sie auf Wunsch des Gastgebers mit und obwohl die Qualität dieser Bildchen sehr zu wünschen übrig lässt, boten sie reichlich Gesprächsstoff, wie immer.

Wir Frauen trugen damals unsere „dauergewellten“ Haare in Locken, so auch ich eine Zeitlang und wir sahen deshalb auch deutlich anders aus als heute. Die Herren veränderten sich indes kaum. Vielleicht kamen sie früher „bärtiger“ rüber als jetzt, wo allgemein die Haarpracht bei einigen, etwas „lichter“ geworden ist. Nur unser Gastgeber, der sieht heute noch immer so jungenhaft schelmisch aus, wie damals! Deshalb hätte es dieses goldgerahmten Jugendbildnisses mit „Bierhubeln“, das wir ihm mitbrachten, eigentlich auch gar nicht bedurft. Besser wäre da schon jenes alte „heroisch“ anmutende Jugendfoto gewesen, wo sein „Waschbrettbauch“ in „Adolf-Hennecke-Manier“ bei einem  Studenteneinsatz in Freital, während des Studentensommers, vom Fotografen effektvoll abgelichtet worden ist. Aber dieses Bild konnte selbst ich nicht mehr retten. Direkt auf der männlich muskulären Brustpartie befinden sich unschöne, weiße Flecken, die zu retuschieren, mir unmöglich war.

Hätten wir früher, in unserer Jugendzeit, bereits die allseits verfügbare Technik von heute gehabt, dann hätten wir wahrscheinlich nichts verpasst und alles festgehalten. Aber womöglich hätten wir trotzdem nur wenige dieser aufregenden Momente unseres jugendlichen Daseins zum Anschauen parat. Weil, wie wir heute wissen, es schlicht die Fülle der Bilder ist, die es so schwer werden lässt, sie alle gleichermaßen ordentlich zu verwalten. Die Masse von Fotos läge dann eventuell dröge auf irgendeinem Server, einer Datenbank oder einer „Wolke“ herum, und würde dort niemanden mehr interessieren. Seine „analogen“ Ordner aber, die klemmte sich Jörn einfach unter den Arm, warf sie in den Kofferraum des Kombis hinten rein, zum Hund, der natürlich wie immer mit musste und hatte sie auf Abruf sogleich parat, ohne lange suchen zu müssen.

(Bild: Detlef H.)

Und weil aktuelle Handybilder zwar geteilt, dann jedoch womöglich nie wieder angeschaut werden würden, entschied ich mich heute zu dieser Geschichte, die sich tatsächlich so zugetragen hat. Wer seine Fotos teilt, der erhält welche zurück und erst auf diesen, ist man als Fotograf dann selbst auch mal abgebildet. Bilder, die alle von hervorragender Qualität sind! Wirklich zu schade, wenn ich die nicht verwenden würde, dachte ich bei mir. Somit sind also etliche der Fotos in diesem Blog von den teilnehmenden Protagonisten – deren vollständige Namen jedoch nichts zur Sache tun – beigesteuert worden. Es ist ein richtiges „Sammelsurium“ von Bildern entstanden, die beschnitten und heruntergedimmt und jeweils zu Viererblöcken zusammengefasst – diesen Text locker und hoffentlich auch unterhaltsam für alle, die nicht dabei gewesen sind, begleiten werden.

Vom Wert der freundschaftlichen Verbundenheit

„Was im Leben zählt, ist nicht, dass wir gelebt und was wir hierbei erlebt haben. Was zählt, ist, wie wir das Leben von anderen verändert haben.“

Unser gemeinsames, diesjähriges Alumni-Wochenende, anlässlich einer Nachfeier des Sechzigsten – wegen Corona verschobenen Geburtstages in Neuruppin – war nämlich einfach wunderbar! Detlef und Petra hatten alles bestens und liebevoll organisiert und vorbereitet. Ich bewundere Menschen, die so etwas  mit einer gewissen Leichtigkeit hinbekommen, jedenfalls kam uns 4 Paaren – als ihre Gäste – dies genauso so vor. Und genau darin liegt ja auch die Kunst! Unsere Gastgeber sind jedoch auch in gewisser Weise privilegiert – das muss man schon sagen und sie haben einen riesen Vorteil, denn sie sind Besitzer einer Datsche mit schönem Garten und einem Steg, der es ihnen erlaubt, den Ruppiner See zu nutzen. Sie besitzen zu diesem Zwecke ein kleines Boot und anderes Wasserzubehör und daher lag es auch nahe, zwei der Gästepaare (Inka und Matthias und wir beide) im Hotel genau gegenüber, einzuquartieren. Per „Fährbetrieb“ wurde geregelt, dass wir statt um den See drumherum zu müssen, gemütlich auf dem Seeweg zueinander fanden.

Ein Freundespaar, Dagmar und Lutz, das schlief bei ihnen in der Datsche. Bernd und Kati kamen im zum Wohnmobil aufgestockten Bus, den sie direkt vor der Datsche abstellten. Sie sind gern unabhängig und touren mit ihrem coolen Gefährt zu den entferntesten Zielen. Dort angekommen, müssen sie sich um eine Schlafgelegenheit nicht sorgen. Sie benötigen lediglich ein (bestenfalls in der Nähe befindliches) Bad mit Dusche zu ihrem Glück.

Das Häuschen am See (Bild: Katrin K.)

Am ersten Abend erfolgte die Anreise, wobei wir von allen den kürzesten Weg hatten. Pünktchen inspizierte das ebenerdige Zimmer, das, wie die anderen Zimmer in der unteren Etage, extra für Gäste mit Hund, zur Verfügung stand und sie fand es prima, sie wunderte sich aber genau wie wir, nur über den Waffenschrank, der in der Ecke (natürlich abgeschlossen) stand. Wahrscheinlich steigen hier – im Hundezimmer, manchmal auch Jäger (oder BerufsEinbrecher?) ab, dachte sie. Welche Erklärung sollte es sonst dafür geben, wenn nicht diese?

Der nächste Tag sollte dann viel Bewegung für alle enthalten, denn das reiche Abendessen zuvor, am Anreisetag, musste ja irgendwie wieder abgearbeitet werden, gerade auch bei mir und meinem Mann. In der Zeit von Ende März/April/Mai bis zum 24. Juni, dem St. Johannitag, machen wir – wie jedes Jahr – traditionell unsere Beelitzer „Spargeldiät“ und dies natürlich mit viel Butter und kräftig Bröseln. Während alle Damen unserer Truppe auf ihre Linie achten, weil sie selber oder eventuell auch gar nicht kochen, werde ich ja in jedem Fall und an jedem Tag im Jahr, ordentlich verwöhnt und darf dann auch nicht klagen, wenn es zu gut schmeckt, weil einfach zu gehaltvoll! Bereits früh lernte ich, dass „Männerbratkartoffeln“ etwas anderes sind als Bratkartoffeln, die Frauen zubereiten! Da ständig „nein“ zu sagen und sich in Verzicht zu üben, während der Mann es sich gut gehen lässt, wäre auf Dauer ziemlich frustrierend, so will ich mal gelinde formulieren. Ich nutze also jede Möglichkeit des Ausgleichs, um die alte Form schnellstens wieder zu erlangen.

Es war geplant, dass wir am Samstag also zuerst gemeinsam Radfahren würden, um danach mit drei gemieteten Kanus, eine Tour über die schöne Ruppiner Seenlandschaft zu wagen.

(Bild: Mathias H.)

Daran anschließend sollte es ein „Ruheprogramm“ mit kühlen Drinks auf dem Sonnendeck eines Fahrgastschiffes geben, welches genug Raum für Gespräche unter allen Beteiligten ermöglichen sollte. Wir hatten uns zum letzten Male in Jena im Herbst des vorangegangenen Jahres gesehen, und in der Zwischenzeit ist bei jedem einiges passiert, worüber zu reden, sich lohnte.

Gegen Abend dann, kurzes Sichfrischmachen und ab in den romantischen Garten direkt am See. Mit dem Boot sollten wir Viere übersetzen, während die anderen bereits auf uns warteten. Wir wollten diesen zweiten Tag mit dem Verzehr gegrillter Köstlichkeiten bei Kerzenschein ausklingen lassen. Soweit so gut.

Doch es sollte ein bisschen anders kommen, was die Abfolge dieses Planes betraf. Schon beim gemütlichen Frühstück auf der Hotelterrasse unterm großen Sonnenschirm, merkten wir Hotelquartierten, dass irgendetwas nicht stimmte. Die zuvor abgemachte Zeit, zu der wir uns hier alle gemeinsam an diesem Sonnabendmorgen verabredet hatten, wurde denn auch nicht eingehalten. Wir frühstückten und warteten und niemand kam. Wir tranken einen Kaffee nach dem anderen und wunderten uns.

Von der anderen Uferseite vernahmen wir stattdessen eine gewisse Hektik.

Flackerndes Blaulicht signalisierte, dass nah bei unseren Freunden aus irgendeinem Grunde, Hochbetrieb eingesetzt hatte. Verdammt, was war da nur los? Auch die anderen Gäste des Hotels wurden inzwischen aufmerksam und rätselten. Alle Augen waren auf das Wasser gerichtet. Wir begannen uns Sorgen zu machen, denn das Grundstück, wo jetzt immer mehr Menschen in auffälliger, orangefarbener Kleidung auftauchten und Boote zu Wasser ließen, mit denen sie Taucher auf den See beförderten, das war eindeutig der Garten unseres Freundes! Und dann kam die Nachricht per Handy, dass er nur schwimmen wollte …

Ein Hubschrauber überquerte den See und suchte den Schilfgürtel ab.

Mit einer Kamera, die über das Wasser gehalten, aus der Tiefe Bilder lieferte, suchten sie nach dem womöglich Ertrunkenen, während sie mit dem Schlauchboot zügig den See befuhren. Insgesamt waren wegen unseres Freundes, der von seinem morgendlichen Schwimmausflug nicht zurückkam, ca. 70 Mann im Einsatz gewesen. Das Großaufgebot von Polizei, Wasserrettung, Feuerwehr, Tauchern, Hubschraubern und Drohnen, steigerte sich in einer Weise, die uns Angst machte.

Inzwischen hatten die anderen Hotelgäste mitbekommen, dass es sich um einen unserer Freunde handelte, nachdem gesucht wurde und einige unter ihnen, zückten ihre Handys, um von dieser Situation mit auf dem Wasser gespiegeltem Licht in Blau und Rot, spektakuläre Fotos zu machen. Von uns war dazu niemand so recht in der Lage. „Wie alt?“ … wurden wir gefragt. Es lag nahe, dass er nach Ansicht einiger Leute, zu viel getrunken und deshalb Alkohol im Blut gehabt haben könnte, weil wir ja am Abend zuvor, unser Wiedersehen bereits ein wenig gefeiert hatten, das wussten sie. „Er könnte sich auch übernommen haben“, wurde vermutet. „Das kann nicht sein, ausgesprochen sportlich ist er“, konterte ich. Doch auch dafür hatten manche eine Erklärung parat und so ließ ein etwas dicklicherer Herr am Frühstückstisch verlauten:

„Diese Sportbegeisterten! … die überschätzen sich doch allzu oft, die überfordern sich und übertreiben dann“ …  „Schlaganfall!“… „Ist alles schon passiert“…  „Ich hab schon die fittesten Pferde vor der Apotheke kotzen sehen! …“

Ich befürchtete einen Herzinfarkt, dem er womöglich erlag. Mir standen die Tränen in den Augen. Unsere Freunde waren ebenso ratlos. Matthias sah traurig über den See und Jörn sagte gar nichts mehr. Dem fehlten die Worte. Nur Inka beruhigte uns, sie vermutete, unser Schwimmer habe sich nur verirrt. Eine andere, fremde Frau, sah indes von der Seite mitfühlend zu uns Vieren herüber. Schließlich machte Inka sich auf, um das dichte Schilf auf unserer Wasserseite nach dem Verschwundenen abzusuchen, sie wollte nicht nur herumsitzen, sie wollte aktiv etwas tun. Denn die kostbare Zeit, ihn doch noch lebend zu finden, die lief …

Es konnte sich nur um einen Unfall handeln, der unseren Freund anscheinend derart früh, mit noch nicht einmal 60 Jahren, aus der Bahn geworfen hatte. Wir standen beiderseits des Ufers und hofften auf ein Wunder. Detlef informierte uns in Abständen, aber die Zeit verstrich zusehends und die Aussicht auf eine erfolgreiche Bergung, ging allmählich gegen Null. Eine der anwesenden Taucherinnen, ließ denn auch das Schlimmste erkennen, durch eine leise Geste nur, die sie gegenüber der Ehefrau und unserer Freundin, machte. Dieser Moment muss der schlimmste für sie an diesem so sonnigen Morgen, gewesen sein. Rettungswagenleuchten und Blaulichterflackern der Feuerwehren, es hörte einfach nicht auf.

Tatenlos abwarten zu müssen, das war schlimm auch für uns, die wir noch immer auf das andere Ufer starrten und hofften, uns aber nicht dorthin wagten, um womöglich mit unserer Anwesenheit überflüssiger Weise, für noch mehr Unruhe zu sorgen. Inka traf indes im Schilf auf die Männer im Schlauchboot, die dort gezielt nach dem vermeintlich Leblosen suchten. Auch ihr wurden Fragen gestellt und dann hörte sie, wie einer der Männer einen Anruf entgegen nahm. Aus der Reaktion schloss sie, dass es eine Wendung des Sachverhaltes gegeben haben musste.

(Bild: Inka K.)

Und dann erreichte die erfreuliche Nachricht auch uns. Er ist wieder aufgetaucht! Jubel, Freude, aber auch die Frage, wie kann das sein? Wo war er die ganze Zeit über gewesen, was ist passiert?

Nüchtern kam seine erklärende Antwort; „Ich habe mich verschwommen.“

Statt zurück in die Lanke, schwamm er in Richtung Tresckow den Ruppiner See herunter, weiter in Richtung Süden. Bald 6 km war er da schon unterwegs gewesen als ihm irgendwann dämmerte, dass er ans Ufer zurück müsse, weil ihm kalt war und ihm die Orientierung fehlte, wo denn genau er sich überhaupt befand. Der grüne Schilfgürtel hatte dem Schwimmer die ganze Zeit über jegliche Sicht verdeckt. An vielen Stellen kann man Datschen mit ihren Stegen zwischen den Schilfpflanzen hervorlugen sehen; es erging ihm wohl ähnlich wie im sprichwörtlichen Wald, denn auch ihn sieht man mitunter vor Bäumen nicht!

Es waren bald anderthalb Stunden um gewesen, seit seinem Entschluss, ins kühle Wasser zu steigen.

Und ohne zu wissen, dass bereits intensiv nach ihm gesucht wurde, traf er auf einen freundlichen Herrn, der ihm half, nachdem er dem See wieder entstiegen war. Der Mann lieh ihm zuerst einmal eine Badehose. Denn unser Freund, der war nur mit einer orangefarbenen Badekappe bekleidet, in die Fluten eingetaucht, weil er ja auch keinen großen Schwimmausflug geplant hatte. Er wollte schließlich zum gemeinsamen Frühstück zurück sein. Die Intimität des Steges im Datschengarten seines besten Freundes, die machte es möglich, sich sorglos und ohne viel Aufwand und „Gepäck“, nackt ins Wasser hinein zu begeben.

Um Sieben in der Frühe ist er los, um nur ein „Stündchen“ zu  schwimmen.

Drei Stunden, nachdem er ins Wasser gegangen war, hatte ihn seine Ehefrau zurück. Dabei wollte er nur trainieren. „Man muss doch die Gelegenheit nutzen, wenn man schon einmal hier ist und so viel Wasser vor der Nase hat.“ So sagte er es uns später, Lutz, der ansonsten zu Hause in einem Pool mit Gegenstromanlage trainiert. Unser sportlicher Freund beabsichtigt nämlich demnächst am sogenannten „Ironman“ auf Hawaii teilzunehmen. Dort schwimmt jeder Teilnehmer 3,8 km im Meer, fährt danach 180 km mit dem Rad und läuft zum Schluss einen Marathon von 42,195 km. Zur Erklärung: die Zahl ist deshalb so krumm, weil dies die exakte Distanz von Athen bis nach Marathon ist. „Marathonlauf“ eben.

Soviel dazu. Ich finde das beachtlich, wenn sich einer mit Ü-60 so etwas vornimmt!

Es muss wohl am Namen liegen, denn ein anderer Studienfreund, der besuchte uns zu Hause sogar einmal mit seinem Rennrad, statt mit dem Zug oder dem Auto – kommend aus Dresden! (Was unseren Sohn damals ziemlich beeindruckte, der heute ebenfalls ein Radfan ist und sich ein Auto nur ausleiht, wenn er es mal braucht.) Freund Lutz II steigt jedenfalls gern immer mal wieder, erfolgreich aus seinem Alltag aus und begibt sich dafür, beispielsweise kletternd, auf hohe Berge oder unter Tage, und also auch in tiefliegende Höhlen hinein.

Und einmal nahm er meinen Mann zu solch einem Höhlentrip nach Hřensko (in Tschechien), hinter der Grenze nähe Schmilka liegend, mit. Ich darf gar nicht daran denken! Beide sind damals in einem schmalen Gang, einem sogenannten „Kamin“, beinahe stecken geblieben, so eng war der. Während meinem Mann in dieser beklemmenden Situation die Muffe ging, blieb Lutze ganz cool. Er hatte ja immer seinen „Höhlenführer“ in Buchform dabei! Mit der Stirnlampe ließen sich auch im Dunkeln dessen gute Ratschläge von seinen klammen Seiten ablesen, die ihnen beiden dabei halfen, dass sie wieder zurück ans Tageslicht gelangten. Die schlammigen Klamotten, die mein Mann mit nach Hause brachte, über und über dreckig und verkrustet mit lehmigem Matsch, die waren kaum sauber zu bekommen, so feucht und glitschig war es da unten gewesen. Grottenolm nichts dagegen.

Verrückt. Was Männer manchmal so tun müssen, um sich als Mann zu fühlen.

Aber vielleicht finden ja andere Leute das, was ich mache, auch verrückt. Viele kleine Scherben extra zu suchen, um daraus eine große, über zwei Meter hohe Figur zusammen zu setzen zum Beispiel, klingt auch nicht normal. Das ginge schließlich auch einfacher! Und wer sich etwas vornimmt, was den normalen Rahmen sprengt, egal worum es sich dabei handeln mag, der/die muss nun einmal damit leben, darin von anderen beurteilt zu werden.

Wir waren jedenfalls alle total erleichtert, unseren aufgetauchten Freund wieder bei uns zu haben. Dagmar wusste übrigens die ganze Zeit, so sagte sie uns hinterher, dass er am Leben sei und sie blieb deshalb wohl, auch so erstaunlich ruhig. Und doch gab es immer wieder am Tage zwischendurch Momente, wo sie sehr still und in sich gekehrt, fast abwesend ins Leere schaute. Mir schien es, als würde sie im Stillen darüber nachsinnen, was wäre nur gewesen, wenn es anders gekommen und nicht gut ausgegangen wär …

In diesem Zusammenhang sei erwähnt; nicht weiter schlimm, dass das Radfahren ausgefallen ist!

Nur für Pünktchen wäre das natürlich von Vorteil gewesen dahingehend, dass sie vom Mitlaufen am Rad, ordentlich ausgepowert gewesen wäre, für die Kanutour nämlich. Unseren Hund nahmen wir schon des Öfteren zu verschiedensten Bootsfahrten mit. Sie kennt sich damit aus. Aber diese direkte Nähe zum Wasser, so dichte mit der Hundenase dran an dessen glänzender Oberfläche und ganz vorn in der Spitze des schaukelnden Kanus sitzend, das war für sie neu. Eine vorsorglich mitgeführte Decke sollte ihr das entspannte Liegen angenehmer gestalten, aber unsere Hündin legte sich nicht, die stand mit ihrer orangefarbenen Schwimmweste, die wir ihr sicherheitshalber übergeschnallt hatten, hechelnd aufrecht, wie eine Gallionsfigur.

(Bild: o.l. Inka K.)

Wir glitten zu Dritt übers Wasser und der unentspannte Hund wunderte sich nur, wenn andere Leute uns entgegen kamen auf ihren schwimmbaren Untersätzen und ebenfalls Hunde mit sich führten, die allerdings ohne Schwimmweste auskamen. Irgendwie war das auch lustig, wie der kleine Hund da guckte. Sie ist ja an sich eine sehr gute Schwimmerin. Doch manche  Kromis verfügen über ein eher schwaches Nervenkostüm, die regen sich mitunter ganz schön auf, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Ob unser Hund auch zu dieser Sorte gehört, das wissen wir nicht mit Sicherheit auszuschließen. Allein deshalb hatte sie ihre Weste an … fehlte nur noch obendrauf – als „I-Tüpfelchen“ sozusagen, die leuchtend-orangefarbene Badekappe unseres Freundes! … solche Witzchen kamen natürlich zwischendurch immer wieder mal auf, denn sie wirkten wie ein Katalysator und halfen die Situation des Großeinsatzes in der Frühe, zu entspannen. So fanden wir ganz allmählich, wieder zur Normalität zurück.

Der Tag, so sonnig und schön und wir wieder als Gruppe komplett, das war eine echte Freude für uns alle. Dankbar genossen wir ihn. Und diese wasserreiche Region ist ja auch wunderschön; metallisch schimmernde, schönste Libellen huschten umher während wir an weißen Seerosen vorbeiglitten. Leise plätscherten die Paddel. Wir sahen überall auch diese knuddeligen Teichrosen, „Mummeln“ genannt, die bereits Samenkapseln angesetzt hatten, die wie kleine grüne „Kannen“ auf dem Wasser herumstanden. Und überhaupt dieses viele Grün am Rande des klaren Wassers überall! Wunderschön.

Nur, wir Drei (und das Pünktchen) kamen nicht so richtig gut voran. Das war schon recht merkwürdig.

Als wir unsere Kanus (zuvor) zum Steg gehievt hatten, teilte Detlef uns ein – in „erfahren“ und „unerfahren“. Wir, als „Unerfahrene“,  wurden mit unserem erfahrenen „Ironman“ in eine dieser „Nussschalen“ gesetzt und als erste dem Wasser anvertraut. Trotzdem sich unser Steuermann am hinteren Ende des Kanus total abmühte und Jörn vorn und ich in der Mitte sitzend auch, war da ein gewisser Widerstand zu spüren. Und obwohl wir sozusagen als „Vorhut“ ins Wasser gestochen waren, überholten uns unsere Freunde schließlich alle und die Abstände zu ihnen, die wurden immer größer, das war ziemlich frustrierend! Irgendwie ließ sich unser Kanu schlechter manövrieren oder waren wir beide am Ende tatsächlich so schlecht? Jörn maulte andauernd herum, er „säße“ nicht gut. Eine Ausrede, dachte ich.

Wir lästerten darum, was wohl nun als nächstes käme.

Es sind ja schon andere mit dem Boot kopfüber im Wasser gelandet. Andere Zeit, andere Tour, aber dieselbe Truppe. Damals waren wir gemeinsam mit Kajaks auf der Rhin unterwegs von Rheinsberg nach Alt-Ruppin. Wir erinnern uns immer wieder gern, besonders an Berni, jenen Freund aus der Clique, der „rosig“ und wie aus „Marzipan“, weil nass und arschkalt, frierend und total nackt am Ufer ohne seine Klamotten stand. Er hatte zuvor den gesamten Inhalt des umgekippten Kajaks mühsam, Stück für Stück, aus den Fluten bergen müssen: seine Frau Katrin, ihrer beider Rucksäcke und auch den Proviant, die Geldbörse und anderes, derweil Einheimische am Ufer standen und feixten. Anscheinend ist dieses Thema ein „Pflichtthema“ bei uns, nämlich, dass es immer mindestens einen trifft, der sich „nackig“ machen muss. 

Wer den Schaden hat, der braucht ja bekanntlich nicht für Spott (und Mitleid) zu sorgen.

Nur ein teures Smartphone, das gab es zu jener Zeit – bloß gut – noch nicht. Dafür gibt es heute entsprechende Behältnisse, die man als Besitzer eines Bootes, immer an Bord mitführt. Alles Wertvolle kommt vor Antritt der Reise in die große Dose hinein und ist darin vor Nässe sicher.

Kanu „falschherum“ (Bild: Inka K.)

Nach einer kleinen Rast mit Imbiss, die wir uns genehmigten, und deren Rechnung unser Freund großzügig beglich (um die ausgefallene Fahrradradelei wett zu machen, wie er sagte), stiegen wir wieder ein, um die letzten Kilometer unserer Tour auf dem Wasser fortzusetzen. Dabei kam nun das Hintere unseres Kanus vorn zu liegen. Keiner von den „Profis“ hatte darauf geachtet, weder zu Beginn der Reise, noch beim zweiten Einstieg, wierum unser Teil lag. Und woher sollten denn auch ausgerechnet Jörn und ich wissen, wo vorn und wo hinten ist? War das am Ende nicht egal? Aber unsere Fahrt ging jetzt plötzlich deutlich leichter und Jörn saß jetzt auch viel besser. Und unser Steuermann bemerkte erfreut, dass der Takt endlich stimmt!

Lag es am kleinen Hund, der jetzt inzwischen deutlich ruhiger geworden war?

Am Hund lag es nicht. Denn endlich dämmerte uns, dass wir zu Beginn mit dem Hinterteil zu vorderst unterwegs gewesen sein mussten. Und jetzt richtig herum im Wasser lagen. Beim Vergleich mit den anderen Kanus, die wir schließlich überholten, fiel es uns dann selber auf. Auch auf den Fotos, die während dieser Tour entstanden sind, kann man es sehen. Wir waren jetzt richtig zügig unterwegs, hatten wir doch zuvor unfreiwillig, derart gut trainiert! Was für ein Tag! Keiner ist vollkommen! Schön, dass wir unseren Fehler noch bemerkten. So wussten wir dann wenigstens, dass wir doch nicht ganz so unsportlich sind, wie ursprünglich angenommen. Wenn wir beide auch so aussahen. Denn wir sind schon zwei komische Vögel, mein Mann und ich, das muss man so sagen. Wir sind von allen, die am wenigsten Angepassten. Wir fallen aus dem Raster immer raus … In kurzen Hosen und leichten T-Shirts waren unsere Freunde erschienen, wie echte Wassersportler eben. Jeder mit Schirmmütze versehen und gut eingecremt, hatten sie sich perfekt vorbereitet.

Das dachte ich, hätte ich auch getan. Nur, dass mein Outfit so gar nicht sportlich wirken wollte; mit meinem weiten Blusenmantel, leichter aber dennoch langer Leinenhose und meinem sommerlichen „AsselHut“, (einem ehemaligen Ladenhüter) von Herrn „Joop!“, den ich damals in einem seiner „Wunderkindläden“ äußerst günstig in Berlin erwarb. Diese aparte Kopfbedeckung in alltagstauglichem Grau heißt bei mir so, weil das Teil diese originelle Form hat, die mich an eine zusammengerollte Kellerassel erinnert. Der Hut ist leicht und man kann ihn getrost knautschen und er beschützt mich zuverlässig vor der Sonneneinstrahlung ohne darunter die Hitze zu stauen – ich liebe ihn! Seinen Rand klemmte ich mit einer Spange an meinen Haaren fest, denn selbst an eine mögliche Windböe, die meinen Liebling im schlimmsten Fall hätte wegwehen können, hatte ich gedacht! Jedenfalls habe ich nach Sicht der Bilder, mit denen ich später konfrontiert worden bin, schon ein wenig über mich selbst lachen müssen.

(Bild: u.r.: Katrin K.)

Und auch der Mann saß langärmlig bei 27°C und in seinen Jeans, die er das ganze Jahr (das allerdings in unterschiedlichen Variationen) am Leibe trägt in der Hitze und bekam „Stau“ zu spüren. Ihm wurde ärztlicherseits empfohlen, darauf zu achten, jede Sonneneinstrahlung zu meiden und dafür immer auch eine Kopfbedeckung zu tragen. Was gegen Kälte gut ist, hilft auch bei Hitze – so seine Devise.

Was wir ebenfalls zu spüren bekamen; allgemeine Zipperlein, die anfangen uns hier und da immer mal zu plagen. Denn das ein oder andere Körperteil „spinnt“ mitunter und will jetzt nicht mehr so mitmachen, wie es eigentlich sollte. Da kann es wirklich entspannend sein, nicht laufen zu müssen, sondern sich sanft dahin gleitend, den vorbei kommenden Naturschönheiten, zu ergeben. Damit, dass sich die Umstände verändern, müssen wir lernen umzugehen. Alle hatten deshalb Tipps für Bernd parat, dessen Achillessehne ihn quälte. Da merkt man doch gleich und atmet auf, dass das Thema „Gesundheit“ und wie sie zu erhalten ist, inzwischen jeden gleichermaßen betrifft.

Auf dem Fahrgastschiff – in praller Sonne auf Deck sitzend – war ich allerdings sehr dankbar dafür, meine wüstentaugliche „Beduinentracht“ und den tief sitzenden Hut, angehabt zu haben. Ich atmete förmlich auf, wenn eine kleine Bewölkung über uns hereinbrach und dazu eine lütte, frische Brise wehte, während dies den „Sonnenanbetern“ „kühle“ vorkam, wie sie hinterher feststellten. Jörn und ich, wir beide, sind ja regelrechte Schattenfreunde, doch davon gibt es nur wenige Exemplare, weshalb man auch immer irgendwie auffällt und das Gefühl hat, sich vor all den anderen, die kein Sonnenproblem haben, rechtfertigen zu müssen. Deshalb fühlten wir uns, den hitzigen Sonnenstrahlen derart direkt ausgeliefert ein bisschen so, wie der „Graf Dracula“ und seine liebe Frau – die falsch gebucht hatten – nämlich „oben“ anstatt „unten“.

Wir sind es einfach nicht mehr gewöhnt.

Doch wir überstanden unbeschadet auch diese, insgesamt 2-stündige, sehr kurzweilige Fahrt. Jetzt, da ich sitze und diesen Text schreibe, haben wir Temperaturen von über 35°C im Schatten, da hätten wir auf Deck aber tatsächlich ein echtes Problem gehabt! So kann man jedoch sagen, dass das Timing an diesem Wochenende stimmte! Eine kleine Rötung nur, auf der rechten Schulter und im Dekolleté, die erinnerte mich zu Hause noch zwei Tage lang an unsere aufregende, gemeinsame Zeit. Wann hatte ich eigentlich meinen letzten Sonnenbrand gehabt? Keine Ahnung!

Dafür halten Jörn und ich am Abend, wenn andere Leute zu frieren anfangen, länger durch. Offenbar sind wir zwar nicht für „Afrika“, dafür aber bestens für „Nord- und Südpol“ geeignet, so wie die Robben. Ich glaube, unsere rastlosen Freunde lächeln manchmal ein wenig über uns, die wir mit unserem Hund gern im Wald radeln, wandern und dort baden gehen, ansonsten aber auch genauso gern und mit Vorliebe das allseits verpönte Nichtstun (= Müßiggang) betreiben.

Es war uns dann den ganzen Abend über im Garten, mit all den liebevoll zubereiteten Köstlichkeiten, die wir genießen durften, jedenfalls sehr angenehm zu sitzen. Detlefs Grill (seine Küche) steht immer „grillbereit“ draußen parat, daran er die schönsten GenussSachen für uns zubereitete, indes Petra mit fruchtig-spritzigen Getränken überraschte. Die beiden sind ein richtig gutes Team. Es gab für jeden Geschmack etwas zum Probieren; zum Beispiel vegetarische „Bällchen“, allerlei pikante Salate, Brotvarianten und interessante Saucen zum Fleisch. Unsere erwachsenen Kinder, so stellten wir fest, die sorgen bei uns allen dafür, dass wir „Alten“ die Zeichen der Zeit erkennen und nicht etwa verschlafen.

Die Nacht begann sich ganz leise über uns zu senken.

(Bilder: o.r./u.l. und u.r. Katrin K.)

Die spiegelglatte Seeoberfläche glänzte im Dunkeln geheimnisvoll und die knarrzenden Vögel im Schilf, die wir vorab ständig hörten, sind mit einem Male ganz still geworden.

Ich hatte mir meine wollene Jacke zwar vorsorglich eingepackt, kam aber erst auf die Idee sie mir auch umzulegen, als wir von unserem sorgenden Gastgeber mit dessen Boot, an das andere Ufer zum Hotel gebracht wurden. Solcherart Transport zu so später Stunde über den dunklen See, das ist schon besonders! Ein einsamer Schwan schaute uns dabei zu, wie wir in das kleine wackelnde Boot einstiegen. Und eventuell interessierte sich auch der Biber dafür, was hier passierte. Ihn bekamen wir leider zu spät zu sehen, um noch ein Foto von ihm machen zu können. Er ließ sich blicken als die Dämmerung heraufzog und war einfach zu schnell wieder weg, leider noch bevor ich mit meinem Smartphone „schussbereit“ gewesen war. Er „setzte über“ genau von der anderen Seite her kommend, zu der wir jetzt hin wollten. Auf seiner Fahrt geradezu ins Schilf hinein, hinterließ der imposante Nager eine eindrucksvolle Spur mit seiner breiten „Kelle“ im Wasser. Das sieht man so, auch nicht alle Tage.

Nächtliche Überfahrt

Und wie war unsere Hündin froh, als sie die nächtliche Überfahrt mit all der Schaukelei, für sie als beendet betrachten konnte! Ich entstieg dem Boot noch vor Jörn und hievte mich auf den Steg des Hotels hinauf. Ich nahm sie hoch und auf meinen Arm und hob sie über die Bootskannte hinweg, nach draußen. Ihre Aufregung war direkt zu spüren. Der kleine Hund bebte, denn auch Pünktchen musste über sich hinausgehen, auch sie hatte einiges an diesem Wochenende dazulernen müssen. Am rettenden Ufer und wieder auf allen Vieren stehend angelangt, zog sie uns förmlich hinter sich her, mit zügigem Tempo schnurstracks ohne Umwege hinein ins Hotel und in unser rettendes, gemütliches Schlafgemach mit Waffenschrank. Endlich in Sicherheit! Sie soff ihren Wassernapf halb leer, legte sich diesmal gemütlich eingerollt vor meine Bettseite und entspannte sich.

So viele Erfahrungen, so viele Erlebnisse und das alles – mit Happy End!

Es ist schön zu wissen, dass man nicht allein ist auf dieser Welt.

Obwohl wir doch alle so derart verschieden sind, hält sich unsere lockere Verbindung untereinander, was eine Leistung ist. Natürlich ging es immer wieder mal auf und ab und es gab auch Flauten. Es gab Jahre, da sahen wir uns kaum und wir treffen manchmal auch nicht immer alle zur selben Zeit, am selben Ort aufeinander. Jeder hat ja auch noch sein anderes Leben, mit Beruf und Familie und anderen Freundschaften, die ebenfalls nicht vernachlässigt werden dürfen. Aber, wenn man bedenkt, in welch unterschiedliche Richtungen wir allesamt gingen, als die Wende 1989 unsere jugendlichen DDR-Biographien aus den Angeln hob und jeder von uns ein anderes „Päckchen“ zum Tragen übergeholfen bekam, da hätte es auch ganz anders kommen können.

Und so hoffen wir, dass auch der Elfte im Bunde, unser lieber  Freund „Fisch“ nämlich, beim nächsten Male wieder, in alter Frische mit dabei sein wird.

(Bild: Detlef/Petra H.)

Und hoffen wir weiterhin, dass der Wasserspiegel im Brandenburger Land, nicht weiter sinkt!

Im Raum Potsdam-Mittelmark ist deutlich zu spüren, dass dem so ist und auch in Neuruppin, war es leider an einigen Stellen bereits festzustellen. Beim waldigen Spaziergang zum Abschied an Tag 3, den wir gemeinsam unternahmen, bevor alle wieder nach Hause gefahren sind, liefen wir von alten Bäumen beschattet, per Pedes noch einmal direkt am See entlang. Und dieses Mal – wie schön – war sogar noch ein zweiter Hund mit dabei! Die etwas ältere „Frieda“ von Inka und Matthias nämlich, die so entspannt ist – typisch Labrador. Ja, wäre sie auch tags zuvor mit auf Tour gewesen, wer weiß, ob unser Pünktchen da nicht noch viel lustiger drauf gewesen wäre! Auch Hunde sind soziale Wesen, sie genießen die Kontakte zu Ihresgleichen, so wie wir die unseren. Der mitfühlende Trost eines HundeKumpels, der vom sogenannten „Hundeleben“ bereits etwas mehr versteht, der wirkt manchmal einfach Wunder. Alles schon erlebt!

Frieda und Pünktchen liefen jedenfalls eifrig, die einzelnen Grüppchen, die sich bildeten stets miteinander verbindend, immer hin und her, trotz der hohen Temperaturen. Die Mücken stachen, aber das machte uns nicht viel aus, denn in der Datsche wartete noch ein kleiner Imbiss mit den Resten des vorangegangenen Abends auf uns. Alle sprangen nochmals in die bewegten Fluten und erfrischten sich. Mann und Hund schwammen beide weit hinaus, fast bis zur Mitte des Sees. Das Pünktchen war jetzt ohne ihre Weste unterwegs und paddelte ihrem Herrchen immer wieder vor seiner Brust herum, sodass er kaum vorwärts kam. 

Sie passte auf, dass er nicht unterging!

Aber eine schöne neue Badekappe, die sollten wir ihr vielleicht trotzdem noch anschaffen! …

Während Kati auf ihr neues Stehpaddel stieg, um sich darin zu üben, die Balance darauf zu halten, genoss auch ich das seidige Wasser, wie es zart streichelnd anheimelnd mich umspülte. Ich gleite ja am liebsten einfach so und „analog“ und ganz ohne jedes Hilfsmittel hinein und ich lasse mich zu gern nur treiben. Es gibt für mich nichts Schöneres! So auch dieses, ein letztes Mal, an diesem heißen Nachmittag in Wuthenow.

(Bild: o.l. Detlef H.)

Nur der kurios anmutende Steg aus Metall, auf den wir zu guter Letzt bei unserem Spaziergang – versteckt und zugewachsen im Wald gestoßen sind – stammend aus Zeiten mit sehr viel höherem Wasserstand – der will mir einfach nicht mehr aus dem Sinn gehen.

 

Maren Simon, am 20. Juli 2022, bei unerträglich heißen 38°C im Schatten.

 

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(Soweit nicht angegeben: Bilder von Maren S.)

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