„So bildet sich der Mensch / Indem er ja sagt, indem er nein sagt / Indem er schlägt, indem er geschlagen wird / indem er sich hier gesellt, indem er sich dort gesellt / So bildet sich der Mensch, indem er sich ändert / Und so entsteht sein Bild in uns / Indem er uns gleicht und indem er uns nicht gleicht.“ (Berthold Brecht)
Wenn es im Leben auf und ab geht, hoch und runter – ohne noch eine verlässliche Richtung einzuschlagen und man manchmal nicht weiß, was man denken, noch was man am besten tun sollte, um an diesem Zustand etwas zu ändern, dann bleibt einem mitunter schlicht nur das Fünkchen Humor übrig, was noch darüber hinweg helfen kann.
Wir stecken in einer nicht enden wollenden Krise. Zuerst die allübergreifende Pandemie mit ihren teils unerfreulichen Nachwirkungen, dann überflüssiges, machtgesteuertes Kriegsgeschehen am Rande Europas und als reichte dies alles nicht aus, stirbt die Artenvielfalt und erwärmt sich das Klima, welches wir eigentlich an erster Stelle zu retten hätten, immer weiter. Die Polkappen schmelzen schneller als errechnet und die Meeresspiegel steigen an. Heftige Stürme, länger andauernde Hitzeperioden, die in manchen Regionen Rekorde von bald 50 °C erreichen, Waldbrände und Überflutungen – sie werden häufiger, überall auf der Welt.
Wie ein stets präsentes, aggressives „Hintergrundprogramm“ des PCs, welches nicht sichtbar, jedoch trotzdem seinen störenden Einfluss auf den Anwender ausübt – so wird auch meine Arbeit von den Auswirkungen dieser Dauerkrise stets mit beeinflusst, ohne dass ich dagegen etwas tun könnte. Ich weiß um die mich lenkenden Prozesse genauestens Bescheid und nutze sie. Ich bin in Sorge, bin aber als Künstlerin in der Lage, mit dieser gedämpften Grundstimmung umzugehen.
„Schmerz stimuliert“ den Künstler. (Zitat Woody Allen)
Nur die „Person Maren Simon“, die ist nicht so gut drauf.
Da freute ich mich sehr, als Mitte März vom anderen Ende der Welt, „Blumengrüße“, wie frisch aus dem Blumengroßmarkt eingekauft, bei mir eintrafen. Im Kontrast zu den Farben dieser exotischen Gewächse, sind auch Bilder einer grau gefalteten, steinernen Landschaft, die an „Elefantenhaut“ erinnert, anzusehen. In den faltigen, karg anmutenden Strukturen, wachsen Polster von dickblättrigen Pflanzen und zarter Farn. Beide meiner Herzen lachen; das kleine Gärtnerinnenherz genauso, wie das etwas größere, der Bildhauerin, das sich an diesen skurrilen, zu Stein gewordenen Krusten, erfreut. Erkaltete Lava prägt diese Landschaft. Ein Bild mit rotglühendem Mittelpunkt vor schwarzem Himmel berichtete denn auch ganz aktuell davon, dass aus feuerspeiendem, naturgegebenem Chaos hier noch immer, neues Leben geboren wird. Die Natur findet immer ihren Weg. Unser Sohn hielt sich nicht zu seinem Vergnügen in Hawaii auf, auch wenn seine Bilder dem Betrachter diesen Eindruck vermitteln.
Dass er an diesem entlegenen Ort der Welt trotzdem Zeit fand, auch an mich zu denken, freute mich den ganzen Tag. Manchmal finde ich es wirklich zu schade, dass wir das „Beamen“, obwohl wir ja „genau wissen“ wie es geht, noch immer nicht hinbekommen. Ein Stündchen meiner Zeit hätte ich zu gern investiert, mir das alles aus der Nähe anzusehen, um dem eigenen Alltag zu entfliehen.
Konkret im Monat März gab es eine Zeitspanne, da wurde mir alles zu viel. Die Planungen zu etwaigen, mich betreffenden Feierlichkeiten anstehender Jubiläen, fielen – allen Erwartungen zum Trotz – deshalb aus. Ich, die ich mich noch nie scheute, Emotionen zuzulassen, machte schlapp. Das heißt, ich schniefte und bekam kaum noch Luft. In solchen Situationen empfiehlt es sich, einen Gang runter zu schalten, oder sogar zwei. Ich kuschelte mit dem Hund, las im „Pentameron“ und schaute „Germany’s Next Topmodel“, das ich mir extra für später, aufgehoben hatte. Ein Klick auf den roten Punkt der Fernbedienung reichte – und ich war in der Lage, bei einer guten Tasse Erkältungstee, gleich mehrere Folgen hintereinander anzuschauen. Mich interessierte das Motto der Show: „Diversität“, denn davon reden heute viele. Nun galt es für mich herauszufinden, inwiefern die Umsetzung dieses Vorhabens den Machern der Sendung tatsächlich auch gelingt. Besonderes Augenmerk richtete ich dabei auf die Psychologie dahinter. Wegen des heftigen Schnupfens, der mich plagte, musste ich ja sowieso das Sofa hüten. Es steht wie bei den meisten Leuten, praktischer Weise dem Fernseher genau gegenüber.
Und ich sah, da gibt es doch tatsächlich gewisse Parallelen – je härter die Konkurrenz, umso dünner wird die Luft! Das muss man aushalten, wenn man es bis ganz nach oben hin schaffen will. Nicht umsonst wurden gute Ratschläge wie dieser: „Sei ganz du selbst“ und „Du musst nicht immer perfekt sein“ – verteilt. Es sei notwendig, zu sämtlichen seiner Gefühle zu stehen, auch zu den negativen. Alle diese Emotionen rauslassen und aufschreiben, das war der nächste kluge Ratschlag Nummer drei. Auch hier kann ich die positive Wirkung bestätigen, denn auch ich schreibe, weil mich das befreit! Und mit meinem zurückgewonnenen Humor bin ich dann auch in der Lage, ganz ICHselbst zu sein, wobei dazu gehört, selbstverständlich auch mal „Kopfrum“ in der Werkstatt abzuhängen.
Diese erfolgversprechende Taktik habe ich mir von niemand Geringerem, als von Georg Baselitz abgeschaut.
Der Maler Baselitz, (natürlich Kopfstehend!), von dem ich vor Jahren – im Zusammenhang mit der Vergabe eines Preises an die Künstlerin Rosemarie Trockel las, kann diese Frau aufgrund ihrer Popularität, nicht besonders gut leiden, wie übrigens alle künstlerisch tätigen Frauen. Darüber ausführlicher zu berichten, ist jedoch – in meinen Augen – nicht der Rede wert. Sein überstrapaziertes Ego in Verbindung mit dieser, von ihm geschmähten Frau, amüsierte mich trotzdem. Wie müsste sie sein, um ihm zu gefallen? Der alte Baselitz ist ja nicht nur ein gewiefter Maler, sondern nimmt auch in Anspruch „Bildhauer“ zu sein; da könnte er sich die perfekte Frau, doch sogar selbst basteln, wenn er das wollte!
Ich gelangte zu der Ansicht, dass sie aussehen müsse, wie ein verletztes, brüllendes Tier!
Im Internet kursieren allerhand Baselitzsche Holzarbeiten, da wurde ich schnell fündig: verschiedenste „Objekte“ aus Holz, von ihm grob aus diesem „herausgestemmt“ und natürlich – grellgelb angemalt. So mag er es gern. Die beiden Terrakotten, die Sie hier nebenstehend sehen, sind bereits vor etlichen Jahren entstanden, seitdem kommt „Paarbildung“ bei mir immer mal wieder vor, um meine Aussage auf diese Weise zu steigern, die ich da transportiert haben möchte.
Es tröstet mich gewaltig, dass männliche Dominanz auch andere, zumal starke Frauen trifft. So keimt bei mir die Hoffnung auf, auch ich befinde mich nach all den Bekämpfungsmaßnahmen, die ich mir angedeihen lassen musste (und noch immer muss), offensichtlich auf dem richtigen Wege. Ich kann damit gut umgehen, dass mir ans Beinchen gepinkelt wird. Und auch die immer wieder von „besorgten“ Kollegen betonte, mir angeblich zu schaffen machende, „fehlende Anerkennung“, kann ich gut verwinden. Den Menschen zu achten, selbst wenn man von dessen Arbeit nichts versteht, ist eine von vielen Kernkompetenzen, über die ein reifer Mensch verfügen sollte. Entweder man hat sie oder hat sie nicht. Ich muss Kränkungen dieser Art aushalten, das gehört zum Berufsbild dazu, wenn man ernst genommen werden will.
Denn jeder Kulturschaffende leuchtet auf seine Weise. Manche stellen sich einfach unter die „Leuchte“ eines Größeren, denn nur wenige schaffen es aus eigener Kraft derart stark zu leuchten, dass sie es sind, die von anderen umschwärmt werden. Die meisten bündeln ihre kleinen Lichter indes klug, um Teil eines größeren Lichtspektakels zu werden. Das „Leuchtgesetz“ besagt, wo eine intensive Leuchte sich befindet, bedarf es keiner zweiten. Das habe ich inzwischen begriffen und leuchte nun für mich allein. Allgemeine Anerkennung und Akzeptanz, dessen was ich tu, muss deshalb warten. Auch das ist nämlich ein Grundgesetz – wer aus eigener Kraft eine große und helle Leuchte werden will, der hat es sehr viel schwerer und muss sein Können erst vielfach unter Beweis stellen – gegen den großen Rest! Da bleibt nichts weiter übrig, als Augen zu und durch! Doch ich weiß mich notfalls auch zu revanchieren. Denn jede Leuchte – ob groß ob klein – hat ein Haar unter‘ m Lampenschirm zu hängen!
Konkurrenz und Neid, Missgunst und Niedertracht, üble Nachrede und dergleichen – darüber habe ich mich schon des Öfteren ausgelassen.
Was meine „Kunstrichtung“, innerhalb derer ich mich bewege betrifft, so ist aus vielerlei Gründen nicht genau zu sagen, wie sich diese konkret definieren ließe. Und auch das macht es für mich so schwer! Ich lasse mich schlecht einordnen. Als sehr bereichernd in dieser konkreten Angelegenheit der „Verortung“ meiner Kunst, empfand ich deshalb die in Wut herausgeschleuderte Äußerung eines wahrhaft „Kunstsachverständigen“, der es für nötig hielt mich zurechtzustutzen. Die schroffen verbalen Entgleisungen, die dabei am 17. Februar des Jahres vor meiner Werkstatttüre Verwendung fanden, waren allesamt nicht jugendfrei. Ein Wort stach jedoch als besonders genial und irgendwie auch lustig hervor und ich dachte, vielleicht kann ich gerade dieses, noch einmal gut gebrauchen! Konkret für den Katalog zu meinem 100. Geburtstag, da könnte ich es dann zum Einsatz bringen! Dass ich mich aktuell zurückhielt und keinen Katalog anvisierte für dieses Jahr – obwohl es doch aber sehr lohnenswert gewesen wäre – lag doch nur daran, dass mir die passende Überschrift nicht einfallen wollte!
Deshalb sicherte ich mich vorsorglich ab, Maren Simons „KACKKUNST“ auch noch später verwenden zu dürfen.
Ich benutze vielfach allerlei Abfallprodukte, von Laien liebevoll „Müll“ genannt, weil im Recyceln von Materialien meine Stärke liegt, das wurde hier sehr gut erkannt. KACKKUNST trifft es im Kern also ziemlich genau und spiegelt den Zeitgeist wider … nämlich aus KACKE=BONBON=WERTE machen zu können! Das verhält sich bei mir ganz ähnlich, wie mit der schönen Müllerstochter Marie, die mithilfe eines unfreundlichen Herrn Namens „Rumpelstilzchen“ lernte, einfaches Stroh zu glänzendem Gold zu verspinnen.
Meine Begabung machte sich schon im zarten Babyalter bemerkbar.
Damals malte ich die Gitterstangen meines Ställchens aus Protest, darin immer wieder eingesperrt worden zu sein, braun an. Ich war schon immer ein Freigeist und ich fand außerdem, dass es super aussah. In Erinnerung dieses frühen Erlebnisses, fällt es mir deshalb auch sehr schwer, an dieser Stelle so offen darüber zu schreiben; dass selbst der eigenen Mutter mein duftes Kackkunst-Frühwerk, nicht gefallen wollte! Meine Fäkalkunst provozierte ein riesen Desaster, denn Mutters weiße Bluse blieb nicht weiß! Doch auf solche Banalitäten, wie diese, bloß, weil sie nochmals in die Schule musste, um an einer nachmittäglichen Sitzung teilzunehmen, konnte ich leider keine Rücksicht nehmen. Was mir dann ja auch zeitlebens übel genommen wurde. Meine Mutter und die Kunst, wurden nie wirklich Freunde.
Etwas später, da versuchte ich es wieder, aber diesmal mit „Druckgrafik“ an der elterlichen Wand. Und wieder eckte ich damit an, künstlerisch tätig geworden zu sein; nun sogar bei beiden Elternteilen. Diesmal handelte es sich um den sehr präsenten Abdruck meines kleinen Hinterns, direkt über der Rückenlehne des Sofas und damit in Gesichtshöhe, der ihnen missfiel. Das freche Kunstwerk musste mehrmals in dunkelstem Preußischblau überstrichen werden, weil mein öliger Popo-Fleck, in Form zwei runder Bäckchen, immer wieder unschön durchschlug.
Und was lernen wir daraus? Bereits im frühen Kindesalter macht sich die spätere Person, die aus dem Kind einmal werden wird, mitunter unbequem bemerkbar. Im Keim ist bereits angelegt, was kommt!
Der Ausgleich ergibt sich dadurch, dass ich im Gegensatz zu anderen Leuten, heute nun machen kann, was ich will – wie Pippi Langstrumpf. Ich suche mir aus, ob und woran ich arbeite und selbst, wenn ich lieber etwas anders tun wollte, wäre das in Ordnung. Während mir diese Gedanken mal wieder (weil ein altes Thema) klimpernd in meine Computertastatur fallen fällt mir auf, dass ich zusätzlich dazu (zum widerholten Male), irgendwelche Figuren aus dem Kinderfernsehen bemühe. Ja vielleicht sollte ich mich „Pittiplatsch dem Lieben“, der ebenfalls 60 wird (!) anschließen oder auch „Daniel Düsentrieb“. Beide sind in Feierlaune, Letzterer wurde kürzlich sogar 70! Aber ich glaube bald, auch daraus wird nichts.
Ich bin niedergeschlagen. Selbst der von mir hochverehrte Papst Franziskus zeigt sich besorgt und ist pessimistisch. Auch er leidet sichtlich. Der einfühlsame Friedensstifter aus dem Vatikan ist frustriert und sieht seine vermittelnde Rolle, gegenüber dem russischen Aggressor Putin, als gescheitert an. Bedrückt äußerte er sich kürzlich darüber, vor einem möglichen Weltkrieg in Sorge zu sein.
Ja, ich bin in Gedanken bei diesen Menschen, die ihre Werte verteidigen. Lese aber auch das Für und Wider, was die Lieferung von Waffen betrifft. Ich versuche mir eine Meinung zu bilden, um darauf vorbereitet zu sein, was auf uns zukommen könnte. Und ich erwarb einen der Drucke von Herbert Sandberg, über den ich im letzten Blog schrieb. Das Kriegsthema beschäftigt mich! Aus Scherben, die zufällig auf meinem Arbeitstisch liegen, entsteht im März (unter Zuhilfenahme eines Holzhammers), ein „gesprengtes“ Mosaik in Gelb und Blau. Alles zerbricht. Das Scherben-Thema, das mich in Variationen künstlerisch ja schon eine ganze Weile beschäftigt, weil es meine persönliche Lebenslage so gut beschreibt, ist jetzt hochaktuell und passt genau in diese Zeit! Es scheint mir, als hätte ich geahnt, was da auf uns zukommt.
Ich wollte endlich meine (bei Wintersturm im Garten) vom Winde Zerschlagene reparieren, denn ich brauchte den Platz und immer stand mir die Tante im Wege. Ihr Torso kam in meiner Werkstatt auf eine extra Stütze und so hatte ich Gelegenheit ihr auf Augenhöhe, zu einem neuen Antlitz zu verhelfen. Unerwarteter Weise gelang dies wie geschmiert. Scherbchen für Scherbchen legte sich (fast wie von allein) übereinander. Ich band das wackelige Ensemble zwischendurch immer wieder mit einer Schnur zusammen und stützte alles von unten solide ab. Sie erhielt zusätzlich auch ein paar neue Flügel, die ich ihr nachträglich anbaute.
Und nun hat sie endlich ihr Gesicht wieder.
Schöner und viel interessanter als zuvor. Ich wachse mit meinen Aufgaben! Mir scheint, ich stehe richtig gut im Saft. Die Werkstatt ist voller solcher angefangener Sachen, die von mir abgearbeitet werden müssen. Auch „Scherbenpracht II“ befindet sich noch immer in der Warteschlange … (auch so ein schönes Wort) … lange „WarteSchlange“ lange! Ich muss in der Tat mitunter den richtigen Zeitpunkt abwarten können, darf nicht ungeduldig oder hektisch sein. Landläufig von Unwissenden als „Müßiggang“ oder auch „Langeweile“ betiteltes „Herumsitzen“ und „Nachsinnen“, … beides auch sehr schöne Worte, helfen mir dann dabei, mich auf Wesentliches zu konzentrieren und diesen „richtigen“ Zeitpunkt zu definieren.
So war das auch bevor ich mich dazu entschloss Professor Bernhard Heisig zu portraitieren. Ich kam nicht so recht in die Gänge und grübelte. Auf dem Tisch lag noch immer das gesprengte Scherbenbild und plötzlich kam mir eine Idee. Ich suchte die feinsten FliesenStückchen heraus, die meisten davon eher flach als dick. Schob sie mal hier hin und mal dorthin – und irgendwann begannen sich auf meinem Tisch, mehrere kleine Schmuckstücke daraus zu entwickeln. Das war eine tolle Lockerungsübung! Ich setzte die Steinchen zu kleinen Bildchen zusammen und gab dem entstandenen ersten Stück, den Namen: „Antikriegs-Ukraine-Brosche“.
Diesen „Prototypen“ trage ich nun auf Brusthöhe zu Testzwecken bei der Arbeit an der groben Leinenschürze, denn wenn ich in „Serie“ gehen wollte, müsste ich zuerst die Alltagstauglichkeit meiner Broschen gewährleisten können. Dann werden sie innerhalb eines Archives dokumentiert. Ich nehme Bestellungen gern entgegen, falls Bedarf besteht. Hinten kommen die Seriennummer und meine Signatur drauf, dann steigen die Dinger vielleicht sogar im Wert. Jedes Stück ist ja ein Unikat. Dieses besteht zwar aus „Müll“, doch wir wissen, „Bares gibt es nur für Rares“, woraus das „Rare“ besteht, ist dabei völlig unwichtig – originell und einzigartig muss es sein!
Als die Berichterstattung im Fernsehen mehr und mehr von den Bildern aus der Ukraine bestimmt wird und es jeden Abend einen „Brennpunkt“ im Anschluss an die Tagesschau zu sehen gab, legte ich los. Die erste Annäherung vollzog ich in Form einer Zeichnung, die ich von Heisig anfertigte. Ich verwendete Bleistift in Kombination mit rosa Engobe zur Korrektur – anstelle von Radiergummi, weil die Dose mit der Keramik-Dekorfarbe, zufällig herumstand.
Dann wurden die Kampfhandlungen spürbar dramatischer, da hatte ich meine Plastik beinahe fertig. Sie erschien mir aber immer noch viel zu glatt. Die Gesichtszüge hatte ich zwar gut getroffen, doch ich empfand das Ganze als zu perfekt, so hatte ich mir das nicht vorgestellt! Meine Gedanken kreisten darum, so etwas wie eine „Formel“ finden zu müssen, um die vielen Widersprüche, die im Inneren eines Menschen hausen, sichtbar werden zu lassen. Mein Ziel bestand darin, das zuinnerst „Gebrochene“ Heisigs, das ich in dem Menschen (und damit auch in dem Künstler) vermutete, herauszuarbeiten. Ich glaube, dieses Vorhaben gelang mir schließlich sogar, indem ich eine wortwörtlich zu verstehende, „Bruchlösung“ provozierte.
Angesichts dessen, wie chaotisch es im Ofeninneren aussah – als ich den Deckel anhob, kann ich nur sagen, dass ich anscheinend mit einer großen Portion Urvertrauen, gesegnet worden bin. Mit meiner reichlich vorhandenen Experimentierfreude bin ich als keramisch werkelnder Plastiker, tatsächlich auf weiter Flur recht allein unterwegs. Die übliche Routine gibt es jedenfalls in meiner Werkstatt nicht. Beim Ausräumen förderte ich eine Menge abgeplatzter Krümel zutage, von mir liebevoll „Brösel“ genannt, die ich in Eimern – nach Größe sortiert – sicherte. Keiner durfte abhandenkommen! Mit „Geduld und Spucke“ fügte ich schließlich die geborstenen Teile des Torsos meiner Plastik leicht versetzt zueinander und mit scherbenen Beigaben und reichlich „Bröseln“ versehen, zu einem neuen Ensemble zusammen.
Ich dachte, während ich seine „Wunden“ versorgte, an ein versehrtes Gebäude mit abgeplatztem Putz und freigelegtem Mauerwerk. Eingebettet in dieses „Gebäude“ verbaute ich Reste von kaputten Fliesen und Schutt aus dem Wald. Immer wieder schaute ich mit prüfendem Blick und blieb doch unzufrieden; Kleinigkeiten regten mich auf. Als ich mich dann endlich dafür entschied, es gut sein zu lassen und das Portrait als abgeschlossen betrachtet freigab, lief die Berichterstattung über den Ukrainekrieg bereits auf Hochtouren. Alle diese schrecklichen Bilder sind während des Entstehungsprozesses in meine Arbeit mit eingewoben worden und trugen zur Steigerung ihres Ausdrucks sicherlich bei.
Heisig litt sein Leben lang unter den Folgen des zweiten Weltkrieges.
Wozu Menschen im Stande sind, sollte ihn bis zu seinem Lebensende hin, beschäftigen. Der junge Heisig befand sich mitten drin, in der Hölle auf Erden und war nicht nur ihr Opfer, sondern sah sich auch auf der Täterseite stehend. Malend bewältigte dieser Künstler seine inneren Dämonen, die ihn immer wieder quälten und stellte sich damit – im Gegensatz zu anderen Prominenten, die sich davor scheuten – seiner Verantwortung. Manche Bilder überarbeitete der Maler angeblich immer wieder, so dass sich deren Fertigstellung hinzog; es muss eine Notwendigkeit für ihn gewesen sein, der die Widersprüche dieser Welt, zu fassen versuchte. Professor Bernhard Heisig erhielt zwei DDR-Nationalpreise (den erster und den zweiter Klasse), die er beide zurück gab. Er verstarb 86-jährig am 10. Juni 2011 in Strodehne, im Land Brandenburg.
Nun steht das fertige Portrait in meiner Werkstatt.
Und die Erinnerungen kommen immer deutlicher zurück. Wir begegneten unserem Rektor öfter am Tage, Heisig war auf den Fluren der Leipziger Kunsthochschule stets präsent. Manchmal suchte er den Kontakt und forcierte den Morgengruß seiner Studentenschaft, wenn man sich dort begegnete und bekam dann als der zum Gruß verpflichtete „Untergebene“, ein leises Lächeln seinerseits zurück. So war das jedenfalls bei mir der Fall gewesen.
Ihm habe ich das „GUT“ auf meinem Buchgestalter-Diplom zu verdanken, obwohl ich nie seine Schülerin gewesen bin. Offenbar kannte er mich besser, als ich dachte. Es gab da eine leise, auf Gegenseitigkeit beruhende, Sympathie zwischen uns. Und ich werde die, für mich sehr unangenehme Situation nie vergessen, da er in seinem Rektorat Besucher erwartete, die zur vorgerückten Stunde beköstigt werden sollten. Unsere freundliche Küchenfrau hatte dafür Brötchenhälften vorbereitet, die nur noch vom Keller hinauf ins obere Stockwerk, wo sich das Rektorat befand, befördert werden mussten.
Aus welchem Grunde auch immer, ich weiß es nicht mehr zu sagen, stand ausgerechnet auch ich dafür zur Verfügung. Ich trug eines dieser, die Sicht einschränkenden, großen Tabletts und blieb an der letzten, ein wenig höheren Stufe vom Keller hinauf nach oben, mit der Schuhspitze (meines Kippelbeines) hängen. Ich stürzte und fiel der Länge nach hin. Alle Gürkchen und liebevoll mit Aufschnitt drapierten Brötchen machten einen Hüpfer, um mit ihrem teils auch cremigen Belag, eifrig in Richtung Rektorat zu kullern. Davor stand – nahe der offenen Türe wartend, bärtig, groß gewachsen im dunklen Anzug, Bernhard Heisig. Er sah mich und das riesige Tablett mit Schwung auf den Fliesenboden knallen und griff mir sogleich unter die Arme.
Erwartet hätte ich ein Donnerwetter. Seine großzügige freundliche Geste anstelle dessen, nämlich alle Brötchen mit mir gemeinsam wieder einzusammeln, die blieb in meinem Herzen verankert. Inzwischen bin ich (wahrscheinlich) im selben Alter, in dem er damals gewesen ist. Vielleicht wandern meine Gedanken deshalb immer wieder in die Vergangenheit zurück. Vielleicht tun sie das aber auch, weil die Studienzeit einfach eine der schönsten für mich gewesen ist.
Ich glaube, ich wäre auch eine gute Lehrkraft geworden, wenn man mich das hätte machen lassen.
Junge Menschen interessieren mich und die meisten unter ihnen, akzeptieren meine Schrullen und finden das cool. Sie erkennen schnell, dass ich „anders“ bin und sie von mir etwas lernen können. Deshalb freute ich mich auch als 2006 ein Siebenjähriger (- inzwischen ein stattlicher junger Mann) erstmals in meine Werkstatt gelaufen kam, um mir dort, zu meiner großen Verwunderung, einen Besuch abzustatten. Er ging regelmäßig Gassi mit dem Hund, eine Aufgabe, die er nach der Schule zu erledigen hatte, deshalb musste er bei mir vorbei. Gern schaute der Kleine in mein Schaufenster, betrachtete die Plastiken und machte sich seine Gedanken dazu. Neugierig geworden, wollte er irgendwann mehr wissen. So lernten wir uns kennen.
Ganz konkret interessierte ihn, warum ich keine Hunde anfertigen würde. Wir hatten ja damals nur unseren Kater und meinen Einwand, dass es doch genug tönerne Katzen zu sehen gäbe, ließ er nicht gelten. Sein kleiner Jackrusselterrier, der heute auch schon 15 Jahre alt ist, schnupperte ausgiebig und musste andauernd niesen, während sich Tomi auch die anderen Plastiken im Inneren ansah und feststellte, ebenfalls eine „Skulptur“ werden zu wollen, wie er es damals so lustig formulierte. Wir setzten einen Vertrag auf und ich ging an die Arbeit. So kam es zur Portraitsitzung „Junge mit Hund“.
Als Dankeschön für die fertige Kleinplastik aus Ton bekam ich (außer dem Taschengeld aus Toms Sparschwein), ein selbst gemaltes Bild. Jeden Tag erfreut mich dieses Bildchen, das staubgeschützt, zwischen zwei dicken Plexiglasscheiben in meiner Werkstatt hängt. Kreativ war der Junge schon immer gewesen und so wurde aus Tom-Richard ein Konditorlehrling. Bevor ihn die Krankheit im letzten Sommer total aus der Spur warf, bekam ich erste, lustige Ergebnisse aus dieser sehr schönen Lebensphase, in der er noch gesund war und Backwaren herstellte, in Form von allerhand Torten zu sehen, die er mir aufs Handy schickte. Ich erfuhr dabei dann auch speziell von seiner Liebe zu essbaren Bildern, die der Dekoration dieser Kunstwerke, den sogenannten „Mottotorten“, dienen. Um solche appetitlichen Kostbarkeiten für Freunde und Bekannte auch zu Hause herstellen zu können, schaffte er sich extra einen Lebensmitteldrucker an.
Im April schickte mir mein junger Freund Tom-Richard ein Video von der Ostsee mit seinem lustigen Hund. Wie gut es uns allen doch geht, ging es mir durch den Sinn, es mangelt uns an nichts, wir haben genug zu essen und wir haben es warm und können also nicht klagen. Und wir können wieder dorthin verreisen, wo wir gern sein möchten. Nur gesund muss man sein! Es waren sehr schöne gemeinsame Tage am Meer mit den Eltern gewesen, die ihrem Sohn in allen, auch noch so schweren Situationen beistehen. Wasser, Wind und das Salz in der Luft taten dem jungen Mann gut, bevor er wieder in die Potsdamer Klinik musste.
Denn Tom-Richard Hensel, 1999 geboren, hat Leukämie.
Früher lebten die Hensels in Werder auf der Insel. Wegen Eigenbedarfs des Vermieters wurde leider und zu allem Überfluss, der Umzug der Familie zum Ende des Jahres 2021, notwendig. Es tat sehr weh, sagte mir der junge Mann im Gespräch, denn dadurch wurde ihm der Boden unter den Füßen vollends entzogen. Doch Tom-Richard nutzte die Chance, was blieb ihm weiter übrig? Er suchte und fand eine neue, eigene kleine Wohnung für sich und lebt nun dort in Eigenregie, wenn er sich nicht gerade im Krankenhaus befindet. Er ist glücklich darüber, dass ihn ein Bäcker im neuen Wohnort unter seine Fittiche nimmt, sobald er die Klinik endgültig verlassen darf.
Obwohl Tom-Richard auf mich manches Mal einen leicht gedrückten, sehr nachdenklichen Eindruck machte, ist er kein Kind von Traurigkeit, sondern im Gegenteil – er ist ein stiller Optimist, der tapfer gegen seine Krankheit ankämpft. Er beschloss von Anfang an, andere über seinen Krankheitsverlauf zu informieren. Was mir mein Tagebuch ist, das ist ihm sein YouTube-Kanal, auf dem er in Abständen unter anderem zu Blutspendeaktionen aufruft und auch über seine gemachten Erfahrungen spricht.
Die vielen Chemos zehren, doch weil er stark ist, sieht man es ihm nicht unbedingt an.
Er bekam Corona und überstand auch dies.
In Kürze wird der junge Mann den vorletzten Chemoblock absolvieren. Stimmungsmäßig geht es ihm nach diesen Strapazen eine Woche lang besonders schlimm. Er wird seelisch betreut, was traurige Gedanken eindämmen helfen soll. Seine Familie, Freunde, Verwandte und ehemalige Nachbarn und auch die YouTube-Fangemeinde, alle, die ihn kennen und gerne haben, hoffen mit ihm! Bald liegt auch der letzte Chemoblock hinter ihm und dann sind die Werte hoffentlich so gut, dass er die Klinik, nach einem schlimmen Jahr voller Entbehrungen, endlich als geheilt verlassen darf. Da ist es schön, dass es draußen allmählich wärmer wird. Der Frühling macht alle mobil.
Die Blüten knallen und das Unkraut, das feine, es gedeiht wieder! Die Christrosen verabschieden sich leise, indem ihre cremeweißen Blüten sich ins Grünliche verfärben. Die Kletter- und anderen Rosen, machen sich bereit, den Staffelstab von ihnen zu übernehmen. Im Frühling und Frühsommer ist unser Garten ein wildes Paradies, für mich die schönste Zeit! Danach ist es für eine Zeitlang sehr schattig und total Grün. Im Herbst kommen die Farben wieder hervor und es fällt unglaublich viel Laub. Im Winter erfreuen die grazilen Zweige, die, wenn sie mit Schnee oder Raureif überzogen sind, ein feingesponnenes Netz bilden, darin die Vögel sich sportlich an den vielen, von uns aufgehängten Futterstellen, zeigen.
Vom Beginn des neuen Werdegangs der Natur in unserem Garten, schicke ich nun meinerseits ein Video zu unserem Sohn in die Schweiz; aparte Tulpen- und Christrosenpracht kombiniert mit dem einzigartigen Gesang der Nachtigall. Wir sitzen beim Obstwein und genießen die Blüten. Es duftet überall verheißungsvoll als wäre eben mal, frisch durchgewischt worden.
Das Leben ist schön!
Und schön ist das Leben – doch immer kann Unvorhergesehenes dazwischen kommen.
Ich sitze nach getaner Arbeit im Garten und höre andächtig dem kraftvollen Nachtigallengesang zu. Amseln und Tauben, Mönchsgrasmücke und sogar die Elstern mischen sich ein. Am Abend des 4. Mai, es dämmert bereits, singen Meisen und Spatzen und auch der Grünfink – anders als sonst, sogar als es schon dunkel ist weiter! Das passiert in derselben Intensität manchmal auch in der Frühe. Diese Klarheit, Kraft und Lautstärke der vielen, gleichzeitigen Vogelstimmen, ist dann einfach unglaublich. Dieser einzigartige „Klangkörper“ lieferte mir ein phantastisches, jubilierendes „Privatkonzert“ erster Klasse. Dazu dieser herrliche, schon seit Tagen in der Luft liegende Duft. Höre nur ich die Vögel singen und kann nur ich den seidig zarten Luftzug spüren, der mich umweht? Machen sich auch andere Menschen über solch, scheinbar selbstverständliche Naturvorgänge, ihre Gedanken oder fühlen sie sich nur angesichts unkontrollierten Wachstums alles Natürlichen daran erinnert, es stutzen und eindämmen zu müssen?
Wenn Kriege stattfinden, weint niemand um die gefallenen Bäume. Niemand fragt, wo die Tiere bleiben. Die Vögel verstummen einfach …
Ich liege lange wach an diesem Maiabend. Singen die Vögel mit derart viel Elan, um uns Menschen daran zu erinnern, wie gut wir es doch haben? Verspielt Euer Glück nicht! … singen sie … und ich denke unwillkürlich an meinen Cousin Klaus, der mit gerade einmal 60 Jahren in den letzten Tagen des Aprils, verstorben ist. Er war sorgender, glücklicher Familienvater. Doch auch er wusste um die Verletzlichkeit dieses Glücks – darin waren wir uns beide sehr ähnlich.
Immer müssen wir die Schattenseiten unseres Daseins aktiv versuchen zu kompensieren, um nicht an ihnen zu zerbrechen. Aufzugeben, entspräche nicht dem Sinn des Lebens, das uns immer wieder sagt: „Kopf hoch“, was auch kommen mag, denn es muss und es wird – weiter gehen.
Maren Simon (im März/April) und am 8. Mai 2022
(Bei Interesse siehe den Artikel „Besser malen!“ von Julia Voss zu „Georg Baselitz und die Wahrheit des Kunstmarkts“ – FAZ NET vom 23.5.2015)