Der Weihnachtsast aus dem Wald bleibt noch eine Weile hängen, denn die vielen kleinen Lämpchen daran wärmen unser Gemüt an dunkleren Tagen und auch am Abend, wenn die Sonne nicht scheint. Strohsterne sind sein einziger Schmuck, obwohl ich Weihnachtsbaumkugeln liebe. Ich mache es wie Mr. Bean und kaufe immer nur eine, höchstens drei. Auf diese Weise kam in den letzten Jahren eine kleine, ungewöhnliche Sammlung zustande. Einen Weihnachtsbaum – weder künstlich noch lebendig – haben wir aber trotzdem nicht, um sie alle aufzuhängen, schon seit Jahren verzichten wir darauf. Deshalb hänge ich meine bunten Kugeln manchmal im Garten auf, zwischen den Meisenknödeln sehen sie einfach zu witzig aus.
Mit extra Futtergaben bemühen wir uns, unseren Gartenvögeln unser Mitgefühl spürbar werden zu lassen, wenn sie am Silvestertag verschwunden sind und am nächsten Morgen wieder nach Hause finden. Sie kennen den Knallertermin offenbar ganz genau und verstecken sich, wo auch immer.
Unser Hibbelchen erlebte zum ersten Male Weihnachten und freute sich total über den damit einhergehenden Rudelzuwachs. Silvester mit seinen Böllern und Krachern, dieser in meinen Augen total rückwärtsgewandten Tradition, machte ihr jedoch Angst. Aufgeregt suchte sie nach einem Versteck und wollte, dass wir mit dem Sektglas in der Hand, dorthin mitkommen sollten; unters Bett, unter den großen Esstisch und auch in ihr weiches Nest, welches sich zwischen Sessel und Sofa befindet. Sonst resolut und angstfrei, ergriff den am ganzen Leibe zitternden und jämmerlich winselnden jungen Hund, plötzlich pure Weltuntergangsstimmung mit Herzrasen!
Am Neujahrsmorgen schien wieder alles normal zu sein – doch zur Sicherheit arbeiteten wir das Erlebte künstlerisch auf! Was der kleine, sogenannte „Kindergarten-Picasso“ kann, der zurzeit die Kunstwelt als „Wunderkind“ begeistert, das kann unser Pünktchen schon lange! Der Junge hat sich die Techniken der großen Meister im Internet abgeschaut und rakelt seine Farbe (fast so genial wie Gerhard Richter selber) auf die Leinwand. Wer sich keine echten Richterbilder leisten kann, wählt dann einfach in Kunstinteresse vortäuschender Absicht, die kindlichen Fake-Richtergemälde, die eigentlich genauso gut sind, jedoch viel weniger kosten … das ist jedenfalls, so denke ich mir, die Theorie dahinter.
Dank vieler Helfer im Hintergrund verkauft sich der Junge anscheinend sehr gut und inzwischen auch teuer. Sein Vater kümmert sich rührig um die Vermarktung des Sechsjährigen. Die Bilder im Familienkreis gar zu verschenken, kommt deshalb auch nicht mehr in Frage, weil sie inzwischen einfach zu wertvoll geworden sind … sagen die Eltern. Kann ein Kind einschätzen, was da geschieht und welchen Kräften es dienlich ist? Verfügt es über den notwendigen, geistigen Horizont aus einer bestimmten Absicht heraus und von seinem Innersten geleitet, gestaltend tätig zu werden, oder ahmt es vielmehr nur nach, wie es Hobbykünstler ebenfalls gern tun? Ohne jede Selbstironie wird dieses Kind mit Erwachsenen verglichen, und gegen diese in Stellung gebracht, die sich zwar „Mühe“ geben, aber es dann doch einfach nicht “gebacken” bekommen, weil „Mühe“ allein, eben doch nicht ausreichend ist. Wie weit sind wir inzwischen von der Realität entfernt, dass wir solchen Schwachsinn unhinterfragt bejubeln?
Wäre der Vogel nicht zurück zu seiner Familie geflogen, so wäre er wohl inzwischen zu meinem versierten Assistenten herangewachsen! Diese verpasste Chance versuche ich nun wieder wett zu machen, lasse unser Pünktchen also für eine Zeitlang im Atelier mit sich allein und höre, wie herumliegende Papiere vom Hund raschelnd umgeschichtet werden, irgendetwas kippt um, es klappert und kracht. Solange jedoch die Bilder darunter nicht leiden habe ich kein Problem damit. Ich legte extra Zeitungen zum Zerfetzen aus und heize somit den Prozess der Selbstfindung unseres Hündchens an. Ich denke mir, dass es doch möglich sein muss – genau wie bei Menschenkindern – jugendlich überbordende Energie lenken und leiten zu können! Ich führe Regie und der Hund macht die Arbeit, so ist der Plan.
Wir brauchen nämlich immer wieder Geschenke! Ich habe zwar kürzlich erst einige meiner Plastiken und einige der Vasen in treue Hände abgegeben und habe sie im weihnachtlichen Miteinander zum Ausgleich für die Unterstützung, die ich erfahren habe, verschenkt. Ich kann aber nicht jedem, dem ich „Danksagen“ möchte zumuten, mit diesen Dingen umgehen zu müssen. Nicht jeder freut sich über meine Kunstwerke, die immer irgendwie sperrig und nie glatt sind und dann womöglich zur Belastung werden. In solchen Fällen sind Bilder vom malenden Hund, der (viel putziger als ich es je könnte) in der Lage ist, jeden Menschen mit seinem lieben Hundeblick zu verzaubern, die charmantere Wahl!
An das talentierte „Wunderkind“ kommt Pünktchen zwar nicht heran, aber das kleine Genie verliert sicherlich irgendwann an öffentlichem Interesse, weil es erwachsen wird und womöglich – noch schlimmer – den Schummel durchschaut. Einen begabten Hund in Stellung zu bringen kann sich daher als taktisch klug erweisen – je jünger und ungewöhnlicher der Künstler, umso größer nämlich die zu erwartende Wertsteigerung!
Man muss lediglich Interesse wecken können! Beim Sohn brauchte ich mich nur mit den Malutensilien zu ihm an den Tisch zu setzen, schon war er Feuer und Flamme. Unser Kind wollte aber leider, im Gegensatz zum genialen “Kindergarten-Picasso”, meistens nur seine Ideen durchziehen und ließ sich nicht hineinreden in seine Bildwelten, die er erfand. Den kleinen Wissenschaftler beschäftigten bereits in ganz jungen Jahren die Wasserkreisläufe in der Natur. Malend ging er der Frage nach, wie alles Wasser fähig ist, ständig seine Gestalt zu wandeln. Regenbögen begeisterten ihn und er malte immer wieder Höhlen, in denen es sich Mensch und Tier, trotz heftiger Stürme um sie herum, gemütlich machen. Wunderbare philosophisch angehauchte Bilder, die Geschichten erzählten. Nie wieder kann man ein Kind werden, nur Kind sein. Zum Künstler kann man ein Leben lang werden.
Bunte und kraftvolle Farben faszinieren eigentlich alle Kinder, so auch mich – als ich selbst noch Kind im Kindergartenalter war – nicht jedoch unseren Hund. Hier musste von mir für seine feine Nase, zusätzlich ein kulinarisches Angebot unterbreitet werden; in Form von fettem Joghurt. Leberwurst hätte es ebenso gut getan, doch deren Grundfarbe hätte das Farbergebnis zu sehr beeinflusst in Richtung Grau und auch die Konsistenz, selbst feinerer Sorten, kann nicht mithalten mit Jogurt, der die Farben strahlen lässt! Ich trug sie auf das Papier auf und unser Hibbelchen verteilte sie dann elegant – mit ihrer feinen Zunge. Einfach genial und ohne vorher Videos anderer Künstler angeschaut zu haben! Unser Hund folgt allein seiner eigenen Intuition! Je nach innerer Stimmung tupft und wischt Pünktchen mit ihrem Bart nicht nur abstrakt, was ja doch relativ einfach wäre, sondern sogar realistisch (siehe Bild “Bigfoot”). Bei der Themenwahl folgt sie frei nach Bauchgefühl ihrer Nase und lässt sich nicht hineinreden – alles dreht sich bei ihr um „Spuren“. Spuren hinterlassen, lesen und wiederfinden, Spuren verlieren, Spuren legen, suchen und Spuren verwischen.
Voller Verwunderung schauen die Betrachter sich des Hündchens Bilder an. Man kann darüber diskutieren, über diese beeindruckende, moderne Pfotenkunst, die einfach nur ernsthaft als das, was sie ist, interpretiert werden will! Ermutigt durch die vielen positiven Stimmen lasse ich natürlich nicht locker und baue Pünktchens Talent weiter aus.
Denn unsere Hündin rakelt ja auch: mit dem Floh-und Läusekamm, den sie vom Kater vererbt bekam. Der Vorteil dieser Technik liegt darin, recht zügig attraktivste Ergebnisse bei sparsamstem Farbauftrag erzielen zu können. Pünktchen reagierte total begeistert. Ich konnte den kleinen Hund kaum bremsen. Weil Künstlersein bedeutet, sich künstlerisch stetig weiter zu entwickeln, überlege ich nun, wie ich sie behutsam an plastisches Gestalten heranführen kann! Leider liebt sie die Werkstatt in Werder nicht sonderlich. Das kühle Material TON ist wohl nicht ihres. Sie favorisiert lockeren Sand und mag keinen, der klebt.
Elefanten könnten mit einem Hubel Ton sicherlich sehr viel mehr zu Wege bringen als unser Hund und mit Hilfe ihres Rüssels, die schönsten Formen daraus zaubern. Leider können wir uns nicht auch noch einen Elefanten zulegen, denn unser Haus ist zu klein. Ich könnte mir jedoch vorstellen, ein kreatives „Elefanten – Keramik – Projekt“ in einem Zoo, künstlerisch zu begleiten. Mein Zutun läge allein darin, den künstlerisch tätigen Tieren das Material zu reichen und sie bei der Formfindung zu unterstützen, um ihnen dann im entscheidenden Moment, da die stärkste Ausdruckskraft erreicht worden ist, das fertige Kunstwerk abzunehmen und für den Brand vorzubereiten. Auch das Wichtigste, die Titelfindung nämlich, wäre mein Part dabei. Nichts einfacher als das! Dickhäuterkunst mit lyrischer Untertitelung klingt so abgefahren, da fänden sich bestimmt potente Abnehmer für.
Beim Hund will ich mit Collagen aus „Bärchenwurst“ mein Glück versuchen. Sie wissen schon, die gibt es an der Fleischtheke, extra für die Kinder und mit lustigem Bild. Ein Problem, das plastische Denken mithilfe von Wurst zu entwickeln, besteht dabei nicht. Jeder denkt zwar, der verfressene Hund wird sich die Wurst schnappen und sofort verschlingen, jedoch nicht damit arbeiten wollen. Ein Irrtum! Unsere kluge Hündin mag die abgepackten Sorten einfach nicht und lässt sie links liegen.
Kinderfängerwurst, so glaube ich bald, wird es nicht mehr lange geben. Die nervigen Kinder von heute, die wollen doch nur noch Gesundes auf ihren Tellern tolerieren. Sie rufen nach einer besseren, gerechteren Welt und das Tierwohl liegt ihnen am Herzen. Also schnell handeln und Bärchenwurst vor dem Aussterben bewahren! Zu einem Turm oder Haufen übereinandergelegt kämen die einzelnen Wurstelemente der raumfüllenden Gedankenwelt eines Installationskünstlers mit bildhauerischem Blick, entgegen. Wäre nur noch die Frage der Haltbarkeit zu klären. „Haufen“ bringen in jedem Fall enorm viel Geld. Denken Sie nur an die vielen Stapel von geerntetem Weizen, diese kuriosen „Heuschober“, von Monet!
An dieser Stelle noch ein Tipp der klugen Hausfrau: alles, was rar zu werden droht, einfach für die Zukunft schnell und sicher bewahren! Denn dann behalten Sie ihr gutes Gewissen … all die schönen Objekte einfach einfrieren, einwecken oder in Folie einschweißen! Käfer, Schmetterlinge und Falter hinter Glas – ihre Raupen in die Dose. Vögel und ihren Gesang in Kästen aus Holz unterbringen. Platt gepresste Wiesenblüten trocken gelagert in schützenswerten Büchern – zwischen deren Seiten aufbewahren … künftig kann mit der entsprechenden Bastelanleitung jedes Ding erfolgreich konserviert werden.
Vielleicht könnten wir Pünktchens Wurstbrote in Formaldehyd einlegen oder umweltfreundlicher, in Alkohol. Damien Hirsts millionenschwere Objekte, die statisch und beeindruckend in Aquarien mit Flüssigkeit verharren, behalten ja auch ihre frischen Farben. Wieso soll das nicht auch mit schwebenden Wurstscheiben möglich sein? Machbar wäre auch Vieles vor dem Schimmeln zu bewahren, indem es in Blöcke aus Gießharz eingebettet wird, um dann übereinander gestapelt, riesige Hallen zu füllen. Kunst ist doch nur echte Kunst, wenn sie richtig groß und mächtig gewaltig daher kommt. Entweder wir spielen mit Zahlen und Masse und überschwemmen mit geringstem Aufwand und ohne jeden Sinn, große Räume mit einfallslosen, nebeneinander aufgestellten, immer gleichen Einzelteilen in Serie – oder aber wir erschlagen den Raum und die Besucher gleich mit, nur durch ein einzelnes, gigantisches Werk.
Jetzt werden Sie sich fragen, braucht es denn tatsächlich Bildhauerarbeiten aus Wurst?
Ich stelle mir diese Frage nach Aufwand und Nutzen und vor allem nach Inhalten, auch des Öfteren, wenn ich Kunsträume besuche. Sie stellt sich dem geneigten und stets mit der Zeit gehenden, wohlwollenden Kunstrezipienten jedoch nicht – der fragt stattdessen – ja, wieso denn nicht? Alles verdreht sich momentan, vieles bläht sich auf, nur um dann lautlos zu implodieren. Ein Vorgang, den man in Folge als wichtigen Erkenntnis-Prozess bezeichnen und mit Projektgeldern unterstützt, erfolgreich an die große Glocke hängen kann. Den allgemein üblichen „Fake“ – nämlich mehr zu scheinen als man tatsächlich ist – den beherrschen meiner Ansicht nach, bereits viel zu viele. Deshalb kann man darauf hoffen, dass es in Bälde eine entsprechende Gegenbewegung geben wird, ähnlich jener, die zurzeit so manchen Tattooträger heimsucht, dem seine Bildsünden auf der Haut zu schaffen machen, weil jetzt nackte Haut angesagt ist.
Ich empfinde die exorbitant zunehmende, selbstdarstellerische Kraft als zu gefährlich, als dass man sie sich selbst überlassen und ihre Entwicklung einfach so laufen lassen darf. Wohin führt mangelndes moralisches Empfinden? Wird „FAKE“ das Wort des nächsten Jahrzehnts? Unser wertvollstes Gut, unser Planet Erde, wandelt sich gerade dramatisch, und wir können nur wage vorhersagen, wie schlimm es wirklich werden wird. Unser Lebensraum mit der Luft, die wir zugleich verpesten und einatmen, dem Wasser, dass wir verschmutzen und verschwenden und dem Boden, den wir überdüngen und versiegeln, den Tieren und Pflanzen, für die wir eigentlich Verantwortung tragen, all das, wird immer noch von allzu vielen Mitmenschen als zu selbstverständlich angesehen.
Wahres, Ursprüngliches, Echtes geht verloren, Künstliches, Minderwertiges und Falsches feiern sich dagegen unermüdlich selbst, denn heutzutage ist alles möglich und genauso gut – nichts! Alles nur eine Frage der Interpretation. Und der Abstumpfung durch penetrante, ständige Wiederholung.
Über derart profane Angelegenheiten muss sich jedoch der künstlerisch tätige Hund keine Gedanken machen, das ist Sache der Experten, wenn sein Talent erst einmal entdeckt worden ist.
Für Zweitausendzwanzig allen Mitstreiter*innen das nötige Rüstzeug, um erfolgreich gegenzuhalten.
Maren Simon am 3. Januar 2020