Die trockene Hitze hatte uns ja so fest im Griff, dass ich mich nicht getraute einen Rakubrand zu tätigen und warten musste, bis es deutlich kühler wurde. Entsprechend viel Material hatte sich angesammelt, wenn ich auch das eine oder andere Stück aus der Not heraus, meinem Elektroofen anvertraute. Wie so oft ergaben sich während des Freibrennens nicht vorhersehbare, dies Mal eher dunkel gehaltene, Farbschattierungen. Immer ist es aber so, als hätte es nie anders sein sollen! Zu der nachdenklichen Thematik, die ich bearbeitet hatte, gaben das samtene Schwarz und Braun die ideale Ergänzung. Es ist immer wieder ein Erlebnis, wie einzigartig jeder Brand verläuft und wie wir mit den an uns gestellten Aufgaben, wachsen.
Eine besonders eigenwillige, aus unterschiedlichsten Scherben zusammengesetzte, raumgreifende und empfindliche Arbeit „Scherben bringen Glück“ mit einem Umfang von etwa 1,40 m und einer Höhe von 66 cm, bei über 30 kg Gewicht, musste auf Grund ihrer ausladenden Maße anders als üblicher Weise, geborgen werden: Jörn griff mit der groben Rakuzange zu, führte und hob das Objekt auf, während ich, mit einem derben Handschuhschutz versehen, direkt mit beiden Händen absichernd unter die glühendheiße Arbeit fasste.
Beherzt hoben wir in vereinten Kräften und bei größter Hitze gemeinsam das unbequeme Teil sanft aus dem Ofen heraus. Unglaublich aber wahr.
Solche kniffligen Situationen, die mich an den Rand meiner Möglichkeiten bringen, liebe ich! Deshalb baue ich auch immer wieder Plastiken aus Scherben, die scheinbar nicht zusammen gehören wollen auf und bringe diese Einzelteile dann dazu, es miteinander auszuhalten. So auch bei der „Scherbenkatze“, eine Hommage auf unseren Kater Micio. Die Plastik ist so schön geworden, dass ich beschloss, sie von der Gießerei Noack in Bronze umsetzen zu lassen. Es kommt mir hierbei besonders darauf an, dass die einzelnen Scherben in ihrer Unterschiedlichkeit auch auf der bronzenen Kopie sichtbar werden, was hoffentlich mit verschiedenen Patinierungen erreicht werden kann.
Wenn das Experiment „Katze“ gelingt, habe ich vor, später auch einige Portraitköpfe in Bronze abgießen zu lassen. Zum Beispiel die Arbeit „Selbst – aus Scherben und mit Nägeln“, die mir sehr am Herzen liegt und welche eine starke Farbigkeit besitzt. Sicherlich werde ich farbtechnisch gesehen, nie auf Eins zu Eins setzen können, aber versuchen will ich es trotzdem, so gut es eben geht. Gerade die vielen, in letzter Zeit entstandenen Scherbenportraitarbeiten, sind sehr anspruchsvoll, was die Unterschiedlichkeit ihrer Oberfläche betrifft. Aber nicht nur rein äußerlich betrachtet, sondern auch von ihrer Thematik her, sind sie sehr merkwürdige Gestalten, denn ich verarbeite in und mit ihnen meinen Schmerz über alles, was mit „Herkunftsfamilie“ zu tun hat. Die Freude, die sich im Herzen, trotz der traurigen Umstände warm ausbreitet, wenn ich denke, dass eine Arbeit gelungenen ist, kann als eine Form von Schmerzbewältigung erachtet werden und unterscheidet meine Werke von denen der Routiniers, denen es meist wichtiger ist, zu gefallen, als einfallsreich zu sein.
Immer noch Sonne, Sonne, Sonne. Und Farben! Immer mehr der Bäume, die die Dürre überstanden haben und ihre Blätter behielten, wandeln sich derzeit und zeigen Farbe, bevor sie ihr Laub ganz verlieren werden. Melancholie schleicht sich in mein Herz, der unvermeidliche Abschied von den „lebendigen“ Jahreszeiten naht. Die bunten Farben gleichen einem letzten großen, finalen Feuerwerk, bereits mit Nebel im Schlepptau. In zartesten Abstufungen erscheint uns dabei die farbenfrohe Landschaft, bevor alles einen grauen Anstrich bekommen wird.
Deshalb wollten wir noch schnell ein kräftigeres Blau, das der Himmel woanders für uns beide in besonderer Intensität bereithalten sollte, genießen. Das nahende Ende unseres Katers hatte es uns in der letzten Zeit unmöglich werden lassen, ihn für längere Zeit allein zu lassen. Spontan entschieden wir uns deshalb jetzt, nach seinem Ableben, für ein paar Tage Urlaub. In der Gewissheit, dass die Sonne den Süden liebt, sollte uns unsere Reise in wärmere Gefilde führen, wir fanden jedoch stattdessen, über Jena und Dresden, nach Krakau. Hier beeindruckten uns besonders die verschiedensten Gotteshäuser, die es in der Stadt verteilt, anzuschauen gab. So wirkte zum Beispiel die dunkel anmutende Bazylika Św. Franciszka auf mich äußerst modern, denn sie ist sorgfältig mit verschiedensten, blühenden Garten- und Unkrautpflanzen so farbenprächtig ausgemalt worden, dass es die reinste Freude für uns war, diese zu studieren und eingehend zu betrachten. Nicht allein das Vorhandensein gewöhnlichen Unkrauts an den Wänden eines so wichtigen Bauwerks beeindruckte, nein, mich erstaunte es auch sehr, mit welcher Selbstverständlichkeit hier die, in zarter Farbigkeit aufgemalte, realistische Blütenpracht auf einem ungewöhnlichen, aus abstrakten Elementen gestalteten Hintergrund, erblühte. Hier wird dem, der das Natürliche bevorzugte, auf besondere Weise gehuldigt.
Auf Grund seiner wilden und zugewachsenen grünen Vegetation, beeindruckte uns auch der „neue jüdische Friedhof“, den wir ebenfalls besuchten. Die morbiden Grabsteine hatten teilweise keinen festen Stand mehr aufzuweisen und kippten gefährlich in alle Richtungen oder zerbröselten bereits, offenbar war dieses friedlich verwunschene Areal ganz bewusst den ordnenden, grünen Händen von Mutter Natur überlassen worden – wunderschön! Efeu rankte überaus präsent herum und alte Bäume warfen angenehm kühlen Schatten. Ich konnte mich kaum satt sehen an den zarten Lichteinfällen, die zwischen den Baumstämmen aufleuchteten in diesem an sich, so zugewachsenen, verschatteten Gesamtkunstwerk. Die verwitterten Namen auf den alten Grabsteinen – wunderschöne, klangvolle Namen – sie erzählten uns auch vom traurigen Schicksaal derer, denen diese Namen früher einmal gehörten. Da lasen wir das Wort „Holocaust“ und Beklemmung ergriff unsere Herzen. Um all die Wunden verheilen zu lassen, ist noch nicht genug Zeit vergangen, wenn das überhaupt möglich ist! Und so kündeten Steinchen und Kastanien, ab und an auch einzelne Blumen und aufgestellte Lichter davon, dass es Besucher gibt. Wir fanden auf den Gräbern sogar Briefe, die dort abgelegt worden sind! Erfreulicher Weise räumt niemand auf in dem Sinne, wie auf Friedhöfen üblich und es gibt kaum Buntes oder Künstliches. Es darf hier im wahrsten Sinne des Wortes, Unkraut und Gras und Efeu über die Grabstellen und somit auch über die Verstorbenen selbst, wachsen. „Ruhe in Frieden“, bedeutete hier, die Natur gestaltet und deckt Vergangenes liebevoll behütend, mit dichter Pflanzendecke zu.
Der eigenen Endlichkeit wurden wir beide uns dann aber erst so richtig bewusst, als wir vor Gräbern standen, wo anscheinend Mann und Frau nebeneinander ihre letzte Ruhe gefunden hatten und ihre hohen sandsteinernen Grabsteine sich einander zuzuneigen schienen. Das berührte uns sehr und tröstete dennoch auf eine eigene, wundersame Weise. Während die alten und hohen und vielfach noch recht grünbelaubten Bäume ganz leise ihre ersten, gelbgefärbten Blätter über uns abwarfen und diese sachte um uns herum zu Boden sanken, um sich dann, mit einem letzten Seufzer zu den anderen Blättern am Boden zu legen und mit ihnen gemeinsam einen riesigen Teppich zu bilden, vergaßen wir die hektische Welt um uns herum.
Voller Melancholie und Demut im Herzen verließen wir schließlich nach mehr als zwei Stunden, diesen verwunschenen Ort und die Sonne hatte uns wieder. Knallhart schien sie auf uns, was etwas Brutales an sich hatte, denn unsere nachdenklichen Gedanken, sie wollten sich mit den gleißenden Sonnenstrahlen einfach nicht vertragen.
Angesichts des regen Treibens in den Straßen der Stadt fanden wir dennoch notgedrungen zur allgemeinen Tagesordnung zurück. Restaurants und Cafés luden zum Verweilen ein. Es duftete überall sehr würzig und so genossen wir es schließlich, unter all den anderen lachenden Menschen, am Leben und zu Zweien zusammen zu sein.
Immer präsenter wurde, trotz Wärme und Sonne satt während unseres Urlaubs, der Nebel. Sachte und milde stimmend legte er sich über die Berge der hohen Tatra, an denen vorbei wir fuhren, um wieder nach Hause zu gelangen. Es waren wenige, aber schönste, letzte, wärmende Tage gewesen und auch unser Garten empfing uns in gut gelaunter, farbenfroher Stimmung! Das raschelnde Geräusch beim Herabsinken sämtlicher, uns den Sommer über liebgewordener Blätter, erinnerte auch hier an den nahenden Abschied. Nasse Tage sind im Kommen und sie sind nötig.
Schmerzlich vermisste ich bei unserer Ankunft unseren alten Kater! Zu Lebzeiten hütete er während unserer Abwesenheit Haus und Garten, liebevoll betreut von der Nachbarin nebenan und seine Freude war groß, wenn wir wieder nach Hause kamen. Auch den Tieren scheinen traurige Gedanken nicht erspart zu bleiben! Jeden Tag sehe ich von meinem runden Schreibtisch aus, diesen jungen, schwarzen Katz an Micios Grabstelle stehen, ganz so, wie wir Menschen es tun, wenn wir auf dem Friedhof unserer Toten gedenken. Der Besucher kommt jeden Tag. Auch bei Regen.
Denn die Sonne ist inzwischen einem herbstlichen Nieseldauerregen gewichen. Das schöne und nur im Deutschen gebräuchliche Wort „feucht“, Synonym für eine leicht ungemütliche Spannung, die sich auch im Hause breit zu machen scheint, bevor die Heizung „merkt“, dass sie ihre Arbeit aufzunehmen hat, kommt mir in den Sinn. Die Wärme der letzten Wochen hat sich, aller Kühle zum Trotz, jedoch in unseren Herzen eingenistet. Sie wird uns, ebenso wie die Süße der Früchte dieses ausgesprochen südlichen Herbsts, durch den kalten Winter begleiten. Mit großer Freude halfen wir auch darum noch rechtzeitig und zum Ende der diesjährigen Erntesaison, einen Teil des üppigen Weinbeerenbehangs, der an der Hauswand unserer Freunde in Jena prall und dunkelblau-violett lockte, abernten zu helfen und in Saft zu verwandeln. Aus ihm soll nun – mit etwas Glück – ein frischer Landwein werden. Ein echtes Experiment (!) und Neuland für Jörn, dessen Erfahrungen mit „Obst“ hoffentlich zur Freude aller Beteiligter, auch bei „richtigem“ Wein fruchten werden.
Maren Simon am 23. und 28. Oktober 2018