Seit einiger Zeit finde ich großes Vergnügen daran, mich als „Selbstdarsteller“ zu betätigen, indem ich die Selfitaste auf meinem Smartphone bediene. Die eigene Person derart in den Fokus zu rücken, wird von Psychologen im Allgemeinen als minderwertiges (narzisstisches) und von Eitelkeit bestimmtes Handeln betrachtet. Muss ich mir also Sorgen um mich machen?
Was ist es, was mich immer wieder treibt, die Umkehrtaste meines Smartphones zu bedienen, damit ich mich im Display desselben sehen und dann zielgenau ablichten kann? Im „Galeriefach“ lassen sich zu Hauf solche, oft recht spaßigen Fotos und Videos finden, die meinen jeweils gelebten Tag illustrieren beziehungsweise, wie es der wissenschaftlich aufgestellte Sohn sagen würde, dokumentieren helfen.
Als kürzlich „Toni Erdmann“ von Maren Ade in die Kinos kam, konnte ich mich vor Freude kaum halten. Der sprach mir aber sowas von aus dem Herzen! Und ein ähnliches Gebiss, wie es der Hauptdarsteller im Film immer zu benutzen pflegt, besitze ich auch! Ich erwarb es in einem Laden für Kostümierungen aller Art, in Berlin-Mitte, nach einem für mich miserabel gelaufenen „Galeriegespräch“. Ein Mittel zum Trost, damit ich dann zu Hause wenigstens, was zu lachen haben würde.
Und in der Tat: Streichele ich liebevoll über die Bildfläche und schaue mir die Bilder an, gehen die Mundwinkel automatisch nach oben. Ich habe ein Faible für komische Situationen und provoziere diese auch gern. Mich hierbei selbst auf den Arm zu nehmen, macht mir große Freude, denn ich habe ein ausgesprochen entspanntes Verhältnis zur eigenen Hässlichkeit.
Ein Beispiel: der Studentenfasching an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst – wo ich u.a. „die Olle“ mit dem allzu dicken Hintern und dem verrutschten Busen und der verschmierten Schminke im Gesicht gab, jedes Jahr anders und mit nur 45 kg. lebend Leichtgewicht. Formgebende Kissen, am Körper mit Strippen fest verzurrt und Luftballons in verschiedenen Größen, kamen dabei zum Einsatz, um mich ordentlich aufzupeppen. Sie forderten dann förmlich dazu auf, getestet zu werden! An der Diskussion zu „ME TOO“ darf ich nicht (und auch nicht meine Kommilitonin Anette) teilnehmen, jedenfalls nicht in diesem Fall, denn wir haben die Übergriffigkeit der Männerwelt damals gezielt eingeplant und drall provoziert. Und wir haben uns dabei prächtig amüsiert.
Wirklich schade, dass es da noch kein Smartphone gab.
Das „Mee-Too-Gefühl“ – dies sei nur am Rande kurz erwähnt – ist mir zwar auch bekannt, ich entwickelte aber eine Strategie, die fast immer wirkte: ich stellte mich doof und ließ mir die schlüpfrigen Witze erklären, wobei sich die eigentliche Botschaft verlor. Später ging es dann aber nicht mehr nur um derbe Witzchen und ums Flirten schlechthin, sondern es ging knallhart um berufliche Vorteile, die sich eröffnet hätten, bei entsprechender Bereitschaft. Solche Machtspielchen sind endwürdigend und gemein: „Wenn du erst Falten hast, will dich keiner mehr!“… da zog ich für mich die Konsequenzen, denn FRAU muss wissen, was sie will beziehungsweise, was sie nicht will und die in Aussicht gestellten Falten sind hierbei, das geringste Problem.
Zurück zu den Selfies. In einem Nationalpark in Indonesien machte der Makakenaffe Naruto, der dem Fotografen David Slater die Kamera „entliehen“ hatte und den Auslöser drückte, ein Selfie, das um die Welt ging. Ich muss sagen, dass mich diese Nachricht unglaublich berührte, als ich davon erfuhr. Das Tier lichtete sich selbst lächelnd ab und hatte sichtlich Spaß dabei und der Affe wusste anscheinend ganz genau, was er tat. Er muss auch um die Wirkung seiner überaus beeindruckenden Erscheinung gewusst haben – denn Zähne, Augen und das Oval seines Gesichts sind eindrucksvoll eingefangen und regelrecht formausfüllend auf das Display der Kamera gebracht worden. Das Bild ist so wunderbar, weil es ohne jede Absicht, ohne Hintergedanken, wie sie Menschen immer gern vor sich her tragen, ganz spontan aus der Möglichkeit heraus, entstanden ist.
Gesichter sind wie Landschaften, auch sie erzählen Geschichten! Jeder noch so kleine Muskel, der im Laufe unseres Lebens betätigt wird, sei es lachend oder grübelnd, fördert die Faltenbildung. Portraits von ein- und derselben Person sind nie gleich und je nach Tagesform, finden wir dann ein Foto von uns schön oder aber, weniger gelungen. Mich fasziniert und beschäftigt diese „Vielgesichtigkeit“ auch an mir. Zwischen Augen, Nase und Mund inszeniert sich eine unglaublich interessante Welt, die es gilt einzufangen und festzuhalten. Früher lotete ich „analog“ auf Papier rein zeichnerisch die Facetten dieser, meiner „Gesichtslandschaft“, auf der Suche nach der Wahrheit aus. Heute steht zusätzlich diese fantastische Möglichkeit der technischen Selbstreflexion zur Verfügung. Die taschenfreundliche, smarte Technik ist dank eines vollen Akkus (bzw. einer sog. Powerbank), immer einsatzbereit und ganz spontan kann man jeden Augenblick – verweile doch, du bist so schön – klick – festhalten.
Als ich zum Ende des alten Jahres die Eröffnung der neuen Werkstattgalerie der Gießerei Noack besuchte, stand ich staunend in dieser großzügig gestalteten Halle, voll mit Kunst und mein Blick traf auf eine glänzende Krähe, die an einer der Wände auf einem Sockel posierte und dort offenbar auf mich wartete. Ich stellte mich mit dem Smartphone erfreut neben sie, sozusagen genau auf „Augenhöhe“ zu ihr und so, dass der Vogel (auf dem Display) förmlich auf meiner Schulter zu sitzen kam. Selbst, wenn Vögel nichts zu lachen haben, erscheinen sie uns doch lebenslustig und irgendwie immer gut gelaunt. Sie sind mir sehr sympathisch, denn sie genießen ganz offensichtlich das Leben. Vielleicht sieht es Arie van Selm, der Schöpfer der silbernen Krähe, ebenso.
Und (frei nach Goethe) möchte ich ausrufen: „Liebe auch du deine Zeit“, nutze dein Handy … und schöpfe die Möglichkeiten, die sich dir bieten, voll aus! Denn nach dieser Periode, da die Leute Freude daran verspüren, sich selbst, oder noch besser, sogar ihre vollen Essensteller zu fotografieren, um die darauf angerichteten Speisen anderen Leuten in der Ferne „zuzuschicken“, kehrt auch wieder Ernüchterung ein. Die unterschiedlichsten Modetrends sind ja auch nicht von Dauer: nach eng – kommt weit – kommt schmal – kommt gemütlich – kommt sexy – kommt unisexi – kommt geometrisch – kommt abstrakt und dann … FIGÜRLICH! ….
Im Museum Barberini wird noch bis zum 4.Februar die sehenswerte Ausstellung „Hinter der Maske“ – Künstler in der DDR – gezeigt. Auch hier steht des Menschen Antlitz im Vordergrund. In der DDR war es selbstverständlicher gewesen, sich intensiver mit der menschlichen Figur auseinander zu setzen, als es die Kollegen im Westen taten. Ich traf auf viele Bekannte – ehemalige Lehrer und Studenten aus der Leipziger Szene, was mich sehr freute, aber ich vermisste natürlich auch einige meiner Kollegen, sowohl aus Leipzig als auch aus Potsdam. Das möchte ich nicht unerwähnt lassen. Es gibt Namen, die sind gefestigt und haben Klang. In der Art, wie wir „Halbstarke“ von heute uns vermarkten sollen, wo „alles“ geht und „alles“ möglich ist – mussten das die Alten in früheren Zeiten noch nicht. Es gibt inzwischen einfach zu viele Kreative, wobei nur der „Stärkere“ gewinnt, natürliche Auslese sozusagen … was aber heißt denn in heutigen Zeiten eigentlich „Stärke“ beweisen?
Sind es Talent, Ausdauer und Beharrlichkeit? Oder aber, wie früher, der Mut zum Zweifel an sich selbst? … Dicke Ellenbogen, dicke Eier? Beziehungen? Die Fähigkeit, sich erfolgreich zu vernetzen und zu vermarkten? Mehr Biss? Man weiß es mitunter nicht so genau. Der Erfolg hat viele Mütter und Väter oder wie der Slogan einer deutschen Bank behauptet, er ist die „Folge vieler richtiger Entscheidungen“. Aha. Auch die Frage nach Kunst und /oder Kommerz lässt sich in alle Richtungen dehnen, es kommt eben auf die jeweilige Betrachtung an.
Jene, innerhalb der DDR kultivierte, besondere Fähigkeit, sich malend und bildhauernd selbst in Frage zu stellen, ohne den Geldfaktor im Blick zu haben, ist allen Protagonisten dieser Schau gemeinsam und die Resultate sind allesamt höchst interessant anzusehen. Im eigenen Spiegelbilde suchten sie, mehr oder weniger schonungslos, nach Antworten auf die Fragen des Alltags, oder signalisierten ihre Haltung zu etwas. Werke zur reinen Dekoration oder solche „Ohne Titel“, das gab es in der DDR eigentlich nicht und die Erkenntnis, am Ende vielleicht statt der Wahrheit nur Andeutungen machen und diese dann auch noch „zwischen den Zeilen“ (hinter der Maske) verpacken zu müssen, war mitunter mühsam, hatte aber immer auch sportlichen Charakter und forderte, sowohl den Künstler, als auch den Kunstbetrachter heraus. Mitdenken, oder es lassen. Etwas anderes gab es nicht.
Für 2018 wünsche ich uns alles Gute.
Maren Simon am 21. Januar 2018