Die letzten Tage des Jahres – Weihnachten orientalisch

Mein kleiner Edeka-Weihnachtsstern vom letzten Jahr bekam doch tatsächlich pünktlich und der kalten Jahreszeit entsprechend, ein erstes rotes Blatt. Kaum war das kleine Blatt da, saß auch schon wieder ein Feuerkäfer darauf, so, als würde er das Rot zu seinem Glück brauchen. Nach und nach kamen mehrere kleine rote Blätter dazu. Eigentlich schaffen das nur Gärtnereien mit optimal, an den exotischen Lebenswandel der Familie von Euphorbia pulcherrima angepassten, Bedingungen. Dort wachsen dann diese Schönheiten, allesamt Wolfsmilchgewächse, die für meinen kleinen Freund so interessant sind, bei entsprechend auf sie abgestimmten Lichtverhältnissen.

Je größer und umso mehr der roten Blätter des Weihnachtssterns, umso aufdringlicher die Werbung in den Medien, die uns – wie jedes Jahr wieder – neben der Beschenkung und Bewirtung zum Feste,  vor allem „Nächstenliebe“ und „Familie“ möglichst schon ab Oktober in Dauertonendlosschleife als die großen herzigen Hauptthemen der letzten Tage des Jahres, schmackhaft machen sollen. In den weihnachtlich geprägten Familienfilmen gibt es meist nach allerlei durchstandenen Turbulenzen ein „Happy End“, im realen Leben kann man sich darauf jedoch nicht verlassen.

Wir mussten auf dem Wege der Liebe unseren Lebensmittelpunkt verlassen und erst einmal etliche Kilometer mit dem Auto fahren, um in der Studentenbude unseres Sohnes, einen Tag vor dem eigentlichen Feste, in seiner „Herberge“ in Jena, wärmstens aufgenommen zu werden. Alle anderen Bewohner waren ausgeflogen und bei ihren jeweiligen Familien zu Hause und wir hatten also die „sturmfreie“ Bude aus diesem Grund, für uns allein.

Sonst nahm ja immer der Sohn die Fahrerei auf sich, doch in diesem Jahr ergab es sich, dass wir den Besuch bei Freunden mit dem christlichen Fest und einer kleinen ersten Weinverkostung (siehe Blog vom Oktober) verbanden. Das Fest der Liebe bedeutet ja nicht nur allein Geborgenheit im Kreise der „Familie“ zu erfahren, auch Freunde haben hier selbstverständlich ihren Platz. Und dies besonders dann, wenn, wie in unserem Fall, leider die familiäre Pein eher zu Traurigkeit Anlass gibt, anstatt zur Freude.

Es gab an jenem ersten Abend bei unserem Sohn ein feines Essen ganz ohne Fleisch, dafür mit allerlei unterschiedlichem Gemüse und Nudeln dazu. Wie bei den meisten jungen Menschen heute üblich, favorisiert er die neue Essenskultur. Unter einem kleinen, liebevoll geschmückten Bäumchen saßen wir später in seiner geräumigen Küche der WG auf dem dicken Ledersofa zu Dritt, unter der großen Weltkarte an der Wand und sahen uns den TATORT auf seinem PC an. Wir schliefen alle gemeinsam in seinem Zimmer unterm schrägen Dach, was mich an meine eigene Studentenzeit erinnerte, damals, als meine Eltern uns in meiner Studentenbude besuchten.

Sie mussten, aneinander gedrängt wie zwei Grillwürstchen, auf meiner betagten „Wanzenburg“ pennen, einem Utensil, dass ich von der Vorbewohnerin übernommen hatte und welches sich dadurch auszeichnete, sich in meinem damaligen, recht kleinen Zimmer, mächtig wichtig hervorzutun. Wenn man zu zweien auf der Liege lag, rollten die Körper zueinander, ob man es nun wollte oder nicht, die Vertiefung in der Mitte machte es unmöglich, sich diesem Vorgang zu entziehen. Im Winter war die Wohnung, die lediglich über einen Kachelofen verfügte, arschkalt. War ich allein und kam mit dem Kohlenschleppen kaum nach, blieb ich möglichst lange in der Schule und verkroch mich dann, spät am Abend zu Hause angekommen, sehr schnell unter meinem dicken Federbette. War ich zu zweien, eröffnete sich das ganze Potential dieser ulkigen Beschaffenheit meiner Wanzenburgliege, deren sprungfederngestaltetes Innenleben, aufgrund längerwährender und heftiger Benutzung vor meiner Zeit, mittig total ausgenuddelt worden war.

Wenn es dann allerdings in meiner kleinen, Leipziger Dachgeschossbehausung derart kalt wurde, dass die Leitungen einfroren und das Klo eine halbe Treppe tiefer gelegen, nicht mehr zu benutzen war, blieb mir nur noch – Weihnachten sei Dank – die Flucht nach Hause.

Unser Sohn hat in heutiger Zeit einen viel besseren Komfort zu bieten! Er wird fernbeheizt und verfügt über genügend Platz für mehrere Besucher gleichzeitig! Auf den zwei Etagen der großen Studentenwohnung stehen den vier Bewohnern zwei schöne Bäder zur Verfügung. Carstens Zimmer ist ausgesprochen warm und gemütlich eingerichtet. Es freut mich immer wieder, alle seine Schätze anzusehen, die das Flair dieses Raumes mit zwei gegenüberliegenden Dachschrägen, jede mit einem Fenster versehen, bestimmen.

Das Ambiente, bestehend aus (kostengünstig) von der Straße eingesammelten, alten Tischchen, darauf gestapelten Büchern, Bildern – mit und ohne Rahmen und Fotos mit humorvollen Texten dazu, diversen Steinen – allesamt liebevoll drapiert in Schachteln, Muscheln aufgereiht an Fäden und Pflanzen in Ampeln, lässt die sensible Hand seines Bewohners erkennen. Interessante Plakate an den Wänden runden das studentische, leicht chaotische Sammelsurium ab.

Überdacht wird all das von einem ungewöhnlichen Geschenk seiner Freundin Aline vom letzten Jahr: einem orientalisch anmutenden, mit Ornamenten reich versehenen Baldachin aus leichtem Stoff. Sich nach unten hin leicht wölbend, schafft er eine ganz eigene, behagliche Atmosphäre. Carstens Schreibtisch mit der Technik von heute, inmitten dieses Raumes und unter dem Baldachin, bildet den notwendigen Kontrast durch das Vorhandensein einer sachlich-klar strukturierten Fläche, die allein der Arbeit untergeordnet ist. Nur ein von Muttern gestaltetes Pflanzenbehältnis mit „Elefantenohren“ darin, darf am Rand stehen und verbindet die Schreibtischwelt mit dem Rest.

Der Blick in dieses einzigartig gestaltete Zimmer gibt Auskunft über einen sensiblen Charakter mit offenen Augen für Natürliches, Absurdes, Lustiges und auch Nachdenkliches. Keine Frage, er tritt in Alexander v. Humboldts Spuren, auch der war einst Student in Jena gewesen und wirkte später dann, ebenfalls stetig sammelnd und findend, als erfolgreicher Naturforscher weit über Europa hinaus – seine gesammelten Exponate kann man heute u.a. im Berliner Naturkundemuseum bewundern. Es ist schön, wenn man als Elternteil miterleben darf, dass der Nachwuchs ganz offensichtlich seinen Weg gefunden hat und dort angekommen ist, wohin sein Herz ihn einst getragen hat und wenn er auf eignen Beinen stehend, sein Leben meistert. Von uns bekam er zu Weihnachten u. a. auch diverse metallene Kisten für all diese Objekte in Aussicht gestellt, damit sie sicher aufgehoben sind, falls er sich denn irgendwann einmal gezwungen sieht, in kleinere Gefilde umziehen zu müssen.

Seine Talente finden sollte jeder junge Mensch bereits möglichst vor der Pubertät. Auch die inzwischen erwachsen gewordenen Kinder unserer Freunde aus Studententagen, bei denen wir als Familie am 24. Dezember weihnachtlichen „Unterschlupf“ gewährt bekamen und mit denen gemeinsam, wir das Fest der Liebe feierten, sind auf guten Wegen. Ihre Talente erspürten auch diese beiden bereits in jungen Jahren schon, lernten stetig hinzu und bauten sie aus. Der Ältere (Max) war schon immer ein musikbegeisterter „Erfinder“ gewesen und ebenso wissbegierig ist auch die Jüngere (Lena), mutig und ausgesprochen sprachbegabt geht auch sie ihren Weg. Haben doch anscheinend wir Alten so manches richtig gemacht! Ein indisches Sprichwort besagt, wer seine Kinder liebt, der lässt sie reisen, da passt auch ganz aktuell, Alexander von Humboldts Satz dazu: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben“.

Die Welt bereisen kann ein jeder nur auf seine Weise, mit den finanziellen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, aber im Geiste beweglich sein und es im Alter dann auch bleiben, dazu braucht es kein Geld. Und genau das haben wir versucht unseren Kindern zu vermitteln.

Die „Herberge“ unserer befreundeten Familie verfügt über viel freien Raum und entsprechend dazu, auch über viele Schlafgelegenheiten, so dass es ein paar gemeinsame Tage mehr werden durften. Und was für Tage und vor allem Nächte das unter Hilfe aller Beteiligter, geworden sind!

Das gemeinsame Essen und Anstoßen auf Vergangenes und Kommendes sind wesentlich wichtig zu Weihnachten, aber auch die kleinen, in unserem Falle – Julklappgeschenke – die die Freundschaft erhalten, sind es. Streckenweise waren 10 Personen anwesend, entsprechend munter gestaltete sich das Treiben beim Auspacken und diskutieren darüber, wer-was-von-wem erhalten hatte. Zu später Stunde wurde es dann bei Kerzenschein besinnlich, weil es überall im Raum aus allerlei porzellanenen Gefäßen und solchen, die aus Filz gestaltet worden sind, unter Klavierbegleitung warm herausleuchtete.

Kein noch so großer, in angesagten, modischen Farben geschmückter und kühlem LED-Licht erstrahlender Baum, kann es mit der Wärme aufnehmen, die ein naturbelassenes, beleuchtetes Stückchen Filz spendet, wenn es  in eine solch schöne Form gebracht worden ist, wie unsere Gastgeberin sie zu gestalten vermag. Weniger ist manchmal mehr! Früher gab es in den Höhlen unserer Vorfahren Höhlenfeuer, um die sich alle versammelten. Heute gibt es Kerzenschein.

Die herzliche, heimelige Atmosphäre dieser vielen kleinen Lichter überall in der Wohnung in Verbindung mit den Klängen des Klaviers, beförderte unter dem zusätzlichen Einfluss von alkoholischen Getränken, u. a. der überraschend interessant schmeckenden, ersten Verkostung des eigenen Weines aus Beeren der Sorte „Isabell“, (die ein sehr eigenes Aroma entwickelt und jetzt noch ein wenig ausgebaut werden soll) einen Prozess, der aus der kleinen, ursprünglich weihnachtlichen Hausmusike nach einiger Zeit, eine richtige „Jam-Session“ entstehen ließ.

Unser Sohn hatte vorsorglich seine beiden Djemben mitgebracht, Familienvater Berni spielte, wie schon erwähnt, Klavier und Sohn Max saß inmitten lauter blinkender „Kisten“ auf einem Schafsfell am Boden unterm Weihnachtsbaum, um mit dieser leuchtenden Technik die tollsten, sphärischen Klänge zu erzeugen. Er spielte eine Art „Spontan-Beat“ unter Mithilfe seines PCs und setzte den Synthesizer ein, um uns alle in eine andere Welt zu transformieren. Unsere beiden anderen Musiker dieses Trios reagierten auf den tonangebenden Techno, und dieses spontane Spiel war so energiegeladen und heftig und es ging bis in die frühen Morgenstunden hinein, dass ich mich verwundert fragte, ob denn die Nachbarn wohl verreist sein müssen, mit denen sich unsere Freunde eine gemeinsame Hauswand teilen, sonst wären sie nämlich aus ihren Betten gefallen.

Das Stück, welches wir „Weihnachten orientalisch“ tauften, war dann der Knüller, wobei es sich ergab, dass ausgerechnet ich mit einem Gläschen trockenen Weins zu viel, den Gesangspart übernahm: Schallala, lala, lala, Weihnachten ist da … und schon wieder vorbei …

Dank Handy – unvergesslich

 

 

 

 

Maren Simon am 30. Dezember 2018

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