Über Silvester bekamen wir u.a. auch liebe Grüße aus Afrika mit vielen wilden Tieren im Anhang zugeschickt. Savannen und gebirgige Schluchten, sowie wunderschöne Landschaftsaufnahmen vom südlichsten Zipfel Afrikas, dem „Kap der guten Hoffnung“ und den Victoriafällen. Wer sich solch eine Reise vornimmt, der weiß genau, warum er die damit verbundenen Strapazen, auf sich nimmt. Es muss eine sehr schöne Reise gewesen sein.
Und wir? Wir tun nichts dergleichen Beeindruckendes, wir gehen in unseren Wald, oder spazieren in Friedrichs winterlich grauen Gärten und Parks herum. Ein Lächeln schleicht sich jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, in mein Gesicht, denn ich bin in den letzten Tagen an einem der interessantesten Orte überhaupt gewesen! Ein jeder muss seine Prioritäten setzen und so stecke ich all meine Energie zuerst einmal in meine Kunst. Während der Reisende von seinen schönen Erinnerungen bis zum nächsten Urlaub zehrt, ist das Wort „Reisebüro“ für mich und meinen Mann zu einem Fremdwort geworden, stattdessen haben wir, aufgrund meiner gut gedeihenden Kunstproduktion, bald keinen Platz mehr zum Treten! Aber ich muss sagen, alle meine Protagonisten um mich zu haben und zu sehen, wie die „Familie“ stetig wächst, beruhigt! Auch das ist eine Form von Altersvorsorge. Wenn nicht für heute, dann sehr wahrscheinlich, für morgen.
„Wanderungen durch die Gießerei“, so könnte ich meine Erlebnisse in Berlin Charlottenburg übertiteln und auch hier finden sich „wilde“ Tiere: „Henry“, die kleine, französische Bulldogge von Herrmann Noack zum Beispiel, oder „Biene“, die junge Dackelhündin. Beide Hündchen begrüßten mich verspielt auf der Büroetage in der Gießerei, als ich noch im letzten Jahr vor nicht allzu langer Zeit, meine Scherbenkatze abformen ließ. Inzwischen ist auch die zweite Bronze fertiggestellt.
Die Atmosphäre dieses Betriebes, der sich der Kunst verpflichtet fühlt und für Bildhauer aller Temperamente tätig wird, ist einzigartig. Erstaunt registrierte ich bei meinem ersten Besuch im alten Jahr, die vielen baumelnden Meisenknödel die sich, inmitten Berlins, auf dem Gießereigelände an vogelfreundlichen Sträuchern befanden. Amüsiert fragte ich mich, als ich bei weiteren Besuchen die Vögel an den gefüllten Futterständen sah, wer in der Gießerei wohl dafür zuständig sei, jeden Tag die „wilde“ Population der Vogelwelt dieser Stadt, hier bei Laune zu halten! Mein Auto stellte ich direkt unterhalb von „Humpti Dumpti“, dem Flugreisegerät von Jonathan Meese ab und fühlte mich wie auf Entdeckertour, ganz so wie damals, als ich mein „Tonzeitalter“ in Sachen Bildhauerei einläutete und das erste Mal in Glindow, bei meinen märkischen Wanderungen durch die Landschaft der „Glindower Alpen“ mit Staunen, auf das Ziegeleigelände traf.
Solche bodenständigen Orte, wo Menschen in Gemeinschaft mit ihren Händen etwas Erhabenes schaffen und hierbei weder Hitze, noch Staub oder Lärm fürchten, ziehen mich an. Auf dem riesigen Gießereigelände stehen einige Skulpturen, denen man unweigerlich begegnet, bevor man durch das große Tor der Gussabteilung zu den anderen Werkstätten im inneren des Gebäudekomplexes gelangt. Neugierig schaute ich in jede Nische, um herauszufinden, welcher jeweiligen Tätigkeit wohl in den unterschiedlichen Werkstätten nachgegangen wird. Bei dieser Gelegenheit verlief ich mich auch das ein- oder andere Mal und lernte dabei freundliche, offene Menschen kennen, die mir gern Auskunft darüber gaben, was sie den Tag über tun und worin ihre Aufgaben, innerhalb des weitläufigen Gießerei-Organismus, bestehen.
Der Modellbauer und Abformer zum Beispiel. Gut zu wissen, dass es jemanden für solche Fälle gibt, wenn man selbst nicht weiter weiß! Wer beispielsweise nur ein kleines Atelier hat und deshalb über wenig Platz verfügt, so wie ich, der kann mit Unterstützung von Herrn Kaul dennoch ausufernd große Bronzen entstehen lassen! Wenn mich tatsächlich jemand fragen sollte, liebe Frau Simon, dieses kleine faszinierende Tonmodell da, das ist so wunderbar, gibt es das auch in Groß? Dann kann ich sagen, klar doch! Kein Problem!
Sowohl Frau Brückner, meine, mir zugeteilte Ansprechpartnerin für alle Fragen, als auch Herr Noack der Jüngere, berieten mich tatkräftig dabei, meine erste Wahl in Sachen Patinierung zu treffen. Anhand bereits fertiggestellter Kunst, die auch an vielen Orten im Bürokomplex der Gießerei zu finden ist, konnte ich während eines kleinen gemeinsamen Rundgangs beurteilen, wie sich die endgültige Wirkung verschiedenster Patinierungen, am Ende ausnehmen würde.
Die Liste derer, die hier bereits ihre Werke gießen ließen, ist lang und besteht aus lauter klingenden Namen, wie zum Beispiel Ernst Barlach und Käthe Kollwitz, Georg Kolbe und Wilhelm Lehmbruck, Anselm Kiefer, Joseph Beuys, Georg Baselitz, der seine Bronzen bemalt, weshalb ich mich mit ihm gern einmal unterhalten würde – aber ich weiß, von künstlerisch tätigen Frauen hält er nicht viel – und natürlich nicht zu vergessen, Henry Moore. Kein Wunder, denn die Gießerei Hermann Noack besteht seit 1897 bis heute – in vierter Generation. Seit 2009 gibt es den neuen, größeren und entsprechend modern ausgerichteten Standort in Berlin Charlottenburg mit einzigartiger, archaisch anmutender Werkstattgalerie.
Die Firma wird derzeit von Seniorchef Hermann Noack III und Sohn Hermann Noack IV zusammen geleitet. Herr Noack III dreht einmal in der Woche seine Runde und begrüßt dabei jeden seiner Mitarbeiter persönlich. Das ist eine verbindliche, sehr sympathische Geste, finde ich. Als ich den ersten Katerabguss in Augenschein nahm und mein tönernes Original abholte, begegnete ich ihm ein erstes Mal und stellte mich vor und erklärte begeistert meine Absicht, gern öfter kommen zu wollen. Da schlug er mir lachend und zu meiner Verblüffung sehr herzlich auf die Schulter „na, das machen se mal“… sagte er und ging wieder.
Zu Beginn des neuen Jahres ist nun auch die zweite der beiden Scherbenkatzen patiniert worden. Guss Nummer 1 ist von klassischer Natur und in Braun gehalten, bei dem anderen wurden innerhalb eines „Tierversuchs“ zusätzlich zum braunen Grundton, einzelne, auf der Bronzehaut gut sichtbare „Scherbenstückchen“, mit verschiedenen Farben versehen, wobei sich der Patineur, Alexander Seitz, in meinem Beisein für dieses Problem viel Zeit nahm. Wenn man ungewohnte Wege beschreitet ist man ja notgedrungen erst einmal allein unterwegs und muss zusehen, Mitstreiter zu gewinnen, die sich von der eigenen Idee „anstecken“ lassen. Viele Farben nebeneinander, als „Patchwork“ zu setzen, das könnte auch dazu führen, dass optisch betrachtet, die ganze Plastik „auseinanderfällt“ – um jedoch für zukünftige Projekte eine gewisse Sicherheit zu erhalten, musste ich es ausprobieren dürfen und musste direkt miterleben können, was da passiert und welche Möglichkeiten sich mir eröffnen würden.
Ich dachte, mit Acrylfarbe bemalen kann ich die Bronze immer noch …
Weil das Experiment aber geglückt ist, habe ich Blut geleckt und hätte jetzt gern mehr! Ich freue mich sehr, denn da ist etwas völlig Eigenes aus meiner ursprünglichen Arbeit heraus erwachsen, etwas, bei dem ich zwar Urheber und Regisseur bleibe, dennoch einen gewissen Abstand habe, weil jetzt die versierten Hände vieler Menschen am Ergebnis beteiligt sind. Man sieht die eigene Arbeit plötzlich mit anderen Augen. Einzig bei der Abschlussbehandlung in der Patinierabteilung würde ich den Pinsel (und den Brenner!) zu gern selbst einmal schwingen wollen, aber es sind Feuer, Flamme und giftige Dämpfe mit im Spiel, weshalb es so einfach nicht geht, ohne genau zu wissen, was man da tut. Schon allein aus arbeitsschutztechnischen Gründen nicht. Leider.
Auch die Noack-Mitarbeiter sind allesamt Individualisten, die ihre Arbeit sehr ernst nehmen, das respektiere ich. Aber ich habe die Möglichkeit, doch wenigstens mit Bürste und Lappen eingreifen zu können und das pulverige Material herunter zu wischen, um somit gewisse Stellen – sehr subtil – wieder freizulegen. Ich stellte zu Übungszwecken das Szenario zu Hause nach und mischte mir eine acrylhaltige Farbe an, mit der ich versuchte, die Eigenschaften, der von mir favorisierten „Amerikanischen Patina“, nachzuahmen, indem ich sie „kalt“ auf die Bronze auftrug und zum Teil wieder herunterwischte, bis das Ergebnis meinen Vorstellungen entsprach. Diese „Kalt-Patina-Ersatz-Übung“ bot die Möglichkeit, mich des bronzenen Materials anzunähern und an Sicherheit zu gewinnen. Hier souveräner zu werden und mich nicht einschüchtern zu lassen von dem kühlen und gewichtigen Metall, dessen aufwendig in Form gebrachtes Endresultat, mir so viel Respekt einflößt, will ich anstreben, möchte meine Befangenheit loswerden. Aber ich merke schon, dass nach diesen ersten und vorsichtigen Schritten meinerseits, die Einfälle zu sprudeln beginnen. Ich denke bei der Arbeit mit Ton, Scherben und anderen Dingen, jetzt also vermehrt auch in „Bronze“.
Sprudelnde Einfälle – ein Zustand, der einer der schönsten meines Berufsstandes ist! Allerdings muss ich, wenn ich diesen Gestaltungsdrang nutzen und am Laufen halten und in Sachen „Bronze“ tätig bleiben will, auch entsprechende, zahlungswillige Abnehmer finden.
Besonders herausfordernd für meinen Ein-FraumitMann-Kunstbetrieb ist, wie schon des Öfteren erwähnt, die Arbeit am Freibrandofen. Je älter wir werden, umso schwieriger wird es allerdings werden, dem kräftezehrenden Gestaltungsaufwand gewachsen zu sein. Ich arbeitete all die Jahre frei nach dem Motto „aus Kacke mach Bonbon“ und hielt den finanziellen Aufwand so gering, wie möglich. Aber, wenn ich nun die bronzene Vervielfältigung meiner Keramiken angehe, und darauf hoffe, die „Früchte“ zu ernten, die ich in all den Jahren, beinahe vollkommen „verdienstfrei“ und in selbstausbeuterischer Manier, angebaut habe, muss ich dies auch finanzieren können. Es wäre schön, wenn ein Kreislauf in Gang käme, der es mir erlaubte meiner Arbeit, nun auch innerhalb des Gießereibetriebes, entspannt nachgehen zu können.
Seit ich die Gelegenheit bekam, einem bekannten, renommierten Berliner Galeristen von meiner Arbeit berichten zu dürfen, ist aber erfreuliche Bewegung in mein Leben gekommen.
Bislang fühlte ich mich ähnlich unverstanden, wie der Igel, der seinen Garten verließ, um im naheliegenden Wald ein Teil der dortigen Gemeinschaft zu werden. Er wäre aber lediglich geduldet worden, wenn er sich seines stacheligen Mantels entledigt und sich angepasst hätte und fühlte sich deshalb nicht wirklich angenommen. „Wenn du bei uns bleiben willst, werde so wie wir“, verkündete ausgerechnet das Stachelschwein, Anführer dieses Waldes. Nachdem sich beide – schon wegen ihrer Stacheln so Ähnlichen – einander gegenüber standen, um ihren Disput auszudiskutieren und hierbei der Igel, sich zu einer stacheligen Kugel formend, gewann, wendete sich das Blatt. „Soso ein Igel!“ … sagte der Anführer des Waldes und seine Gefolgschaft wurde plötzlich ganz freundlich – jetzt sollte er bleiben und sogar alle seine Stacheln behalten dürfen! Was ihm irgendwie suspekt vorkam und er dachte daran, diese launige Gesellschaft einfach nur noch verlassen zu wollen, seines Stolzes wegen. Ihn hatte er sich, trotz der Demütigungen im Stachelschweinwald, nämlich bewahrt.
Von vielen, solcherlei Enttäuschungen zermürbt und zunehmend misstrauischer werdend und kaum noch in der Lage, sich auf andere, fremde Menschen einzulassen, muss derjenige, der Vorwürfe erhält „stachelig“ zu sein, umgehen können. Er muss dann bereit sein, das Glück für sich in einem etwas entfernter liegenden „Wald“ zu suchen und zu finden!
Für mich bedeutet das, nicht in Berlins Mitte, wo ich annahm, eigentlich am ehesten hinzugehören, bin ich richtig, sondern stattdessen, anscheinend im westlichen Teil Berlins, in Charlottenburg! Am letzten Tag meines Aufenthalts in der Gießerei, traf ich ein zweites Mal auf Herrn Noack Senior, der wieder seinen wöchentlichen Rundgang abhielt und mit Cora Kühn, die zur Zeit in der Gießerei ein Praktikum absolviert, auf dem Gang beisammen stand. Ich wollte mich vor allem von ihr verabschieden, denn Cora war so freundlich gewesen, in der Mittagspause ihr Tomate-Mozzarella-Brot mit mir zu teilen. Eine scherzhafte Bemerkung meinerseits führte wiederholt dazu, dass Herr Noack III mir gut gelaunt und lachend, beherzt auf die rechte Schulter klopfte, so, dass ich gegenhalten musste, um nicht ins Schwanken zu geraten. Ich glaube nun zu wissen, dass sich ein „Ritterschlag“ in etwa genau so anfühlen muss!
Offenbar bin ich endlich angekommen. Dort, wo ich immer schon sein wollte.
Maren Simon, am 20. Januar, mit Optimismus!!! für das junge Jahr 2019
Das Buch für Kinder ist übertragbar auf sämtliche Lebenslagen in Büro, Familie und Kulturalltag:
„Vom Igel, der keiner mehr sein sollte“, Text von Isolde Stark und Illustrationen von Petra Wiegandt, erschienen im BELTZ Kinderbuchverlag, ISBN: 978-3-407-77120-9