Wir bekamen sie geschenkt; Matroschkas, jene typisch russischen, bunt bemalten Püppchen aus Holz die, ineinander geschachtelt, das ganze große Land repräsentieren, das eigentlich für seine Wärme und Herzlichkeit bekannt ist.
Doch nun fehlen mir die Worte.
Diese grausame Politik, deren Zeuge wir momentan werden, wird Auswirkungen auch auf die eigenen Leute im Lande und vor allem, auf die nächste Generation haben, denn das, bringen Kriege so mit sich. Wladimir Putins Hass gegen Andersdenken- und Freiheitsliebende, fällt zunehmend auf die Seinen zurück und die Frage steht unausweichlich im Raum: „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ Der berührende Text des russischen Dichters Jewgeni Jewtuschenko (1932 – 2017) ist 1961 als Antikriegslied veröffentlicht und von dem russischen Komponisten Eduard Kolmanowski vertont worden; wer sich das, von Siegfried Siemund ins Deutsche übersetzte Lied anhört, weiß, nein sie wollen ihn nicht, so viel scheint mir sicher.
Ich mag nicht wiederholen, was andere vor mir bereits feststellten. Dennoch ist es wichtig, Position zu beziehen und Haltung zu demonstrieren. Mir ist nach Bekanntwerden der dramatischen Lage, in der sich Europa derzeit befindet, sofort eine Grafik von früher aus der alten DDR in den Sinn gekommen, die kraftvoll illustriert, was zwischen Russland und der Ukraine an Ungerechtigkeit geschieht. Ich suchte und fand sie im Bücherregal.
Zum Hintergrund: „Die Philister standen auf einem Berge jenseits und die Israeliten auf einem Berge diesseits, sodass das Tal zwischen ihnen war“. Der junge, israelitische Hirtensohn David tritt im Vertrauen auf Gottes Hilfe nur mit einer Schleuder und 5 Steinen bewaffnet, gegen einen überaus starken Widersacher, den Riesen Goliath, an und gewinnt am Ende diesen ungleichen Kampf. Das Ereignis spielte sich ab im Alten Testament, wobei Davids Stein die Stirn des Riesen mittig traf und er ihn gleich mit dem ersten Wurf, zu Fall brachte. (1. Samuel 17 EU)
Der Holzschnitt „David und Goliath“ entstand 1975/76 im Zusammenhang mit dem Vietnam-Krieg. „David“ symbolisiert das vietnamesische Volk, der schwer bewaffnete „Goliath“ verkörpert die US-Armee. Der Maler und Grafiker Herbert Sandberg lebte von 1908 – 1991 und hatte ein bewegtes Leben, er litt unter den Nationalsozialisten, wurde inhaftiert (Zuchthaus Brandenburg und KZ Buchenwald) und später gab es „Ost“ und „West“ und es gab den „Kalten Krieg“. „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin …“, „Abrüstung statt Aufrüstung“ oder „Schwerter zu Pflugscharen“, das waren die Losungen der Friedensbewegung von damals.
Daran muss ich gerade jetzt, wieder vermehrt denken.
In der DDR war der Künstler Sandberg angesehen, stellte sich aber immer wieder auf die Seite der Vernunft. Er sprach sich u.a. 1956 zum Für und Wider des Realismus aus, und er protestierte 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Zweifellos war er ein politischer Künstler, der sich nicht scheute, die Dinge direkt beim Namen zu nennen. Sandberg interpretierte seine Lebenserfahrungen in die biblische Thematik hinein und fand zu seiner eigenen, auch heute noch gültigen Symbolik, die dieses grafische Blatt in meinen Augen, zu einem (zeitlos) aktuellen Kunstwerk erhebt.
Ich finde diese Grafik derart gelungen, dass ich eine davon, selbst gern besitzen würde, deshalb habe ich eine kleine ausgedruckte Kopie, gerahmt in meiner Werkstatt zu hängen.
Es sind die Gedankengänge dahinter, die mich so sehr beeindrucken. Die beiden Kontrahenten „glühen“ förmlich im Kampf um ihre Sache. Die Grafik lebt durch Kontraste – einerseits dem, der zum Einsatz gelangten Farben, und andererseits durch den Kontrast zwischen diesem gewaltigen Gerät in Form einer hitzigen Maschine und dem kleinen, beherzten Menschen, der sich dieser Kreatur standhaft widersetzt und mit mutiger Geste, dagegenhält.
Klarer vermag sich Gewalt gegen Menschlichkeit kaum auszudrücken.
Das Gelb steht gedruckt auf schwarzem Papier. Mit der in „Warnfarben“ gehaltenen, reduzierten Bildsprache, vermochte der Künstler zu damaliger Zeit, viele zu erreichen, um der Vernunft auf die Sprünge zu helfen. Darum wohl, gelangte die Grafik denn auch zu einem kirchlichen Verlag und erschien schließlich in dem von diesem, 1985 verlegten Buch: „Dialog mit der Bibel“, welches ich als Studentin in Leipzig erwarb. Ich nahm die Einladung des Verlages an, die im Klappentext extra vermerkt worden war, nämlich als Leser und Betrachter, den mitunter kontroversen Dialog von Malerei und Grafik in der DDR mit der Heiligen Schrift, als „Angebot“ zu nutzen.
Wenn wir dieser Tage und Wochen nun auf ein gutes Ende hoffen, dann ist es notwendig, den Bruch des Völkerrechts, den hier ein großes Land gegenüber dem ehemaligen, viel kleineren „Bruderland“ vollzieht, zu thematisieren und die Ungleichheit beider Gegner dahingehend auszugleichen, indem wir der angegriffenen Ukraine unsere uneingeschränkte Solidarität zukommen lassen. Denn es ist immer dasselbe: alles Andersartige wird ausgemerzt, nur, weil scheinbarer EIGENSINN jemandem mit überbordenden Machtallüren, nicht in den Kram passen will. „Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will, denn er wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“
Bertold Brecht (1898 – 1956) verfasste diese Zeilen, die etwas Allgemeingültiges in sich tragen, denn man kann sie vielfach (sogar auf die Familie) anwenden. Man kommt im Leben mitunter nicht drumherum aufzubegehren, um seinen Platz darin, aktiv zu behaupten. Alles hat Konsequenzen. Und Europa steht womöglich vor einem atomaren Krieg. Klimawandel und Corona sind weniger relevant inzwischen, die ganze Welt sorgt sich und hat Angst vor einer möglichen, atomaren Katastrophe.
Darum stellt sich die Frage: Wie können wir helfen? Was kann der Einzelne tun?
Mein Mann und ich, wir entschieden uns dafür, das ehemalige Zimmer unseres Sohnes als Not- und Übergangsquartier für zwei ukrainische Gäste anzubieten. Unser Haus ist nicht groß und auch das Zimmerchen ist nur klein, verfügt jedoch über ein eigenes Bad mit WC, inclusive Familienanschluss in der gemeinsamen Küche. Friedrich Schiller war es, der den sympathischen Satz formulierte, „Raum ist in der kleinsten Hütte für ein liebend Paar“, und ich möchte hinzufügen: wenn es der Notwendigkeit geschuldet ist, dann auch für eine Großmutter und ihren Enkel, oder eine Mutter mit Kind. Dabei handeln wir keineswegs uneigennützig, denn die hervorragende, ukrainische Küche ist besonders für meinen Mann, von großem Interesse. Er sagt, da könne er vielleicht, sogar noch etwas lernen …
Maren Simon am 8. März 2021