Die Versehrte

Maren Simon
Foto: Walter Wawra

Intention zu „Die Versehrte“

Das Thema „Erinnerungskultur“ beschäftigt mich schon seit einiger Zeit. So habe ich vor Jahren schon, die „Herabsteigende“, eine nach vorn über gebeugte, Demut ausdrückende Frauenfigur mit Zweig im Arm, als kleine Terrakotta gestaltet. In diversen Zeichnungen formulierte ich das Herabsteigen vom Sockel und auch eine Bronze entstand, um allmählich eine große Arbeit da heraus wachsen zu lassen, was sich allerdings als zunehmend schwieriges Anliegen gestaltet. Innerhalb eines Arbeitskreises von Zeitzeugen, dem ich mich anschloss, entwickelte ich das Thema für mich weiter, indem ich konkret eine trauernde Gestalt zu fassen versuchte, die an die letzten Kriegstage im Mai 1945 erinnern sollte. Unsere Wälder in Brandenburg beherbergen etliche Gräber Gefallener, die ganz jung noch an Jahren, hier, kurz vor Kriegsende noch, ihr Leben lassen mussten.

Es geht mir um die Kraft der Frauen und unabhängig von Alter oder Nationalität, stelle ich das geschundene Weibliche in den Mittelpunkt. Der Begriff der „Trümmerfrau“ ging in die Geschichte ein, aber mir ist parallel dazu wichtig, den unbedingten Willen zum Leben und den hoffnungsvollen Blick in die ungewisse Zukunft zu würdigen, denn Männer und Söhne sind reihenweise im Krieg geblieben. Der blühende Zweig ist Ausdruck von Hoffnung und Zuversicht.

Das Oberteil der kleinen „Herabsteigenden“, eines 2 – Teiligen Entwurfs von ca. 1.20 m Gesamthöhe, den ich nur für mich gefertigt hatte, ist nun am 28.3.2012 in Brennkammer 4 aus ungeklärter Ursache in sämtliche einzelne Teile zerlegt, (noch vor dem Brand) vor ihrem Sockel liegend, aufgefunden worden. Ich beschloss, die Puzzleteile im Ofen zu belassen, um sie anschließend – nach dem reinigenden Brande – erneut zusammen zu setzen. Ich dachte daran, dass eventuell etwas Neues entstehen könnte: Phönix aus der Asche…

Ich konnte allerhand Teile zuordnen, aber die, das Antlitz prägenden, wie Nase, Augenbrauen und Mund, blieben allesamt unauffindbar. Ich musste also entscheiden, ob ich ein anklagendes „Loch“ lassen, oder aber stattdessen, das Gesicht rekonstruieren sollte. Oder, ob ich kapitulieren und mich anderen Dingen zuwenden sollte. Zuerst versuchte ich das ehemals sanfte Frauengesicht neu zu formulieren: allein, es gelang mir nicht. Der Schmerz über die zerschlagene Skulptur hatte mich tief getroffen und bahnte sich vom Kopfe her, über das Herz zur ausführenden Hand, seinen Weg.

Es gestaltete sich schwierig, die losen Teile so zu fixieren, dass ich sie als einen „Körper“ erneut brennen lassen konnte. Aber jetzt trotzt sie allem Übel, will nur leben, eine, die grässlich aussieht, dabei mit dem Zweig im Arm. Sie schaut staunend, noch am Leben zu sein, nach vorn. Was ich mit dieser Skulptur – ohne es vorab so geplant zu haben, jetzt zum Ausdruck bringe, ist meine eigene Sprachlosigkeit, der ich von Wut, Trauer und Schmerz begleitet, ein Gesicht gegeben habe. „Na, Frau Simon, was macht ihre Kunst?“ … „Sie ist nicht tot zu kriegen.“

Maren Simon im Mai 2012