Meine, deine, unsere Kinder

Seit anderthalb Wochen leben wir mit Spatzen direkter als sonst, zusammen. Wir haben zwei Nestlinge gefunden und päppelten sie auf. Nun befinden sich die beiden seit kurzem in ihrer spannendsten, in der sogenannten „Ästlingsphase“, wobei sie sich frei im Garten bewegen dürfen. Die Eltern unseres Geschwisterpaares sind immer anwesend. Wir „teilen“ uns ihre Kinder sozusagen, denn wir haben von der Spatzenfamilie ein „Sorgerecht“ eingeräumt bekommen, vielleicht deshalb, weil sie unser Bemühen um ihre Kinder spürten. Neben der Fütterungspflicht erhielten wir so etwas, wie eine temporäre Berechtigung auf einen liebevollen Umgang mit den Spätzchen, die uns weiterhin mit ihrer drolligen Art erfreuen, obwohl sie überall hinfliegen könnten. Herr und Frau Spatz dulden  den Umgang ihres Nachwuchses mit uns.

Es ist Wochenende und sehr trocken, seit Monaten gab es kaum Regen. Spatzens sind Frühaufsteher, sie ruhen um die Mittagszeit ein wenig aus und treten deshalb etwas kürzer, das heißt, sie essen und tschilpen weniger und „plaudern“ stattdessen ausgiebig, um daran anschließend, ein gemütliches Schläfchen zu halten. Die Kinderspatzen sind kurzzeitig bei uns „geparkt“ worden, denn sie wollen wohl, wie alle Kinder, lieber spielen anstatt zu dösen. Beide sitzen freiwillig im offenen Käfig nebeneinander auf der Sitzstange, wie in einer Kita. Später baden sie ausgiebig, erst im Wassernapf der Katze und danach im Vogelsand des Käfigs, sie sonnen sich (zumal die Sonne im Schattengarten jetzt wieder präsenter auftritt, weil der Nachbar seine lange Tannenreihe reduziert hat) und sie schnäbeln und suchen nach eventuell übersehenen Krümeln, vom gestrigen Tag.

Vier junge, neugierige Meisen studieren interessiert den Speiseteller und gehen ebenfalls hinein ins Vogelhaus. Nun sitzen 6 Vögelchen in dem engen Kasten aus Draht und verstehen sich offensichtlich prächtig. Je jünger sie sind, umso einfacher scheint es, sich gegenseitig in ihrer Unterschiedlichkeit anzunehmen. Der beste Käfig ist nicht der goldene, sondern der, mit ständig für alle Besucher, offen stehenden Tür! Dazu passt auch die Katze, die unter dem Tisch eingerollt im Schatten liegt und döst, ohne sich vom fröhlichen Lärm oben drüber, stören zu lassen.

Aber irgendwann sind die letzten Krümel gefuttert und das kleinste Spatzenkind fliegt auf und setzt sich auf einem tiefer gelegenen Ast in Position. Es beginnt erst leise, dann etwas lauter, sich bemerkbar zu machen: Futterzeit! Man kann die Uhr danach stellen. Alle Stunde hören wir diese Dauertschilptonendlosschleife, beinahe so, wie sich die tickernde Smartphoneeieruhrapp anhört, wenn die vorab eingestellte Minutenzeit läuft. Das kleine Fritzi ist ständig hungrig und „eiert“ deshalb am laufenden Bande nur so herum, was nicht zu überhören ist. Der ältere Horsti dagegen, ist inzwischen recht ausgeglichen, er findet überall etwas zu Futtern und das scheinbar, so nebenbei. Er kommt wohl nur noch aus „solidarischen“ Gründen mit – hat es nicht mehr unbedingt nötig seine Menschen um Futter anzubetteln. Um an den dicken, coolen Horsti heranzukommen, renke ich mich deshalb auch fast aus, ich stehe dann auf Zehenspitzen, um ihn zu erreichen. Das kleine Fritzi hüpft derweil ihrem Futterspender freudig entgegen.

Zu Beginn unserer Bekanntschaft kam Horsti sehr abgeschlagen rüber und verhielt sich depressiv. Er wirkte verletzlicher, als das sehr viel kleinere, muntere Geschwisterchen und so haben wir ihn dann auch sanft zwingen müssen, unsere Hilfe anzunehmen. Das Kerlchen wollte einfach nicht mitmachen und kniff seinen kleinen Schnabel feste zu. Kaum größer als eine Walnuss war er und hatte doch schon die Verantwortung für das jüngere Geschwister auferlegt bekommen. Als unser alter Kater zu seiner Wasserschüssel gelaufen kam, hinter der sich die beiden versteckt hielten, beschützte der geringfügig Ältere das Kleinere. Aufmerksam beobachtete ich die Situation und nahm zur Kenntnis, wie sich der Kater wieder abwandte, nachdem er seinen Durst gestillt hatte, ohne die beiden überhaupt bemerkt zu haben, obwohl sie doch nur 20 cm von seiner Nasenspitze entfernt, am Boden und ihm direkt gegenüber, saßen. Ich entschloss mich in die Szenerie einzugreifen, als nach zwei Stunden den Älteren seine Kräfte zu verlassen drohten und die Katze wieder trinken wollte.

Inzwischen geht es auf den späten Nachmittag zu, während ich im Garten sitze und diesen Text in meinen Laptop tippe. Man hört nicht einen Pieps. Wo sind die Kinder? Auch im Käfig-Kindergarten befindet sich keines mehr. Ich schau mich um und sehe etwas weiter oben in den Zweigen des Baumes, in dessen Schatten es sich gemütlich aushalten lässt, ebenso gemütlich, Mutter und Vater Spatz ohne ihren Anhang sitzen. Auch sie genießen also eine Auszeit! Während sie bei 35 °C im Schatten warten, dass ihre Spatzenkinderbande von ihrem Ausflug zurück kommt, beaufsichtigen wir unsere beiden Kleinsten, die nicht mitfliegen durften und knacken Nüsse und pulen ihnen bei dieser Gelegenheit, die appetitlich dicken, vegan ernährten Bio-Haselnussmaden aus ihren grünlich-weißen Nussbehausungen heraus: Heiße-Sommer-Entschleunigung auf ihre nützlichste Weise!

Wenn Vater LUPS, ein erfahrener Spatz, sich uns mitteilen könnte, dann fiele seine Version dieser Geschichte mit Sicherheit nüchterner aus, „CHICKENCHARING“, so könnte die Überschrift lauten.

Na, das haben wir doch super eingefädelt! Auf diese verrückte „Vogelfreundin“ kann man sich doch tatsächlich verlassen, dachte mir schon, dass wir der unsere beiden Spätzünder überhelfen können. Natürlich hätten wir bei der Eiablage aufpassen und den Schlupftermin der ältesten Eier etwas nach hinten verschieben können, aber nun ist`s halt passiert! Für unsere großen Kinder gab es kein Halten mehr, denn sie wollten schnellstens hinaus in die grüne, verschlungene Welt unseres Gartens, in dem das komische Menschenpaar ebenfalls wohnen darf.

Nun ist ja auch alles gut gegangen, die Frau fand unseren Sohn, unser vorletztes Kind und hob ihn auf, sie hat ein Händchen für schwierige Fälle! Auch dem Elsterjungen half sie vor 4 Sommern so warmherzig, alle bekamen es mit, so laut wie dieser Quaxl immerzu schrie, wenn es Futter gab. Nun kümmert sie sich rührend um unsere Brut, wobei uns wichtig war, für dieses Projekt zweie zu nehmen, die sich nahe sind und die es diesen Menschen dann, entsprechend schwer machen würden, sie an sich zu binden. Der Plan ist vorerst fehlgeschlagen. Besonders unser Kleinster zeigt sich leider anhänglicher, als er sollte. Es muss wohl am Essen liegen, denn sie reicht ihm so leckere Maden, unser Kleiner fährt leider total darauf ab. Es ist klüger den Menschen, wenn schon denn schon, bereits ältere Kinder zu überlassen, denn diese sind weniger beeinflussbar…   

Nun sitzen beide Leutchen da unten und gucken schon wieder so unverschämt zu uns herauf. Bloß gut, dass sie nicht flugfähig sind! Die würden sich glatt zu uns setzen, wenn sie könnten, so wie die drauf sind. Ich frage mich, wieso sie so sehr auf Vogelkinder stehen, haben die kein eigenes Kind, das sie päppeln können? Ich erinnere mich genau, dass sie einen lustigen Sohn hatten, wo ist der eigentlich abgeblieben? Die Antwort auf diese Frage bekamen wir gerade eben, als sie telefonierten. Nun wissen wir, dass er sich gerade im Lande eines Mannes mit gelb-orangenen Haaren befindet. Aber, wieso schicken sie ihr einziges Kind dorthin? Nur, um sich dann fremde Kinder ins Haus zu holen? Außerdem, deren Sorgen möchte ich haben! Reden die doch tatsächlich darüber wie „komisch frisiert“ der Mann mit den lustigen Haaren ist, selbst, wenn der ohne jedes Haar wär, das spielte doch überhaupt keine Rolle!

Wie einer piept ist entscheidend!

Und bei denen scheint nicht alles richtig zu piepen, denn sie legen uns jetzt, im Sommer (!) sogar Körnchen ins Vogelhaus, mächtig bekloppt sind die! Sicher denken sie, wir sind bestechlich. Aber Schwamm drüber, solange sie auch im Winter bereitwillig Futter vergeben, ist ja alles gut. Tun wir ihnen also den Gefallen und spielen mit. Wenn diese dusseligen, arroganten Menschen es unbedingt wollen, na, dann sollen sie auch unsere beiden Kleinen aufpäppeln, wo sie doch glaubten diese, gegen den Willen der Natur, unbedingt „retten“ zu müssen. Der Mann macht übrigens emsig mit, erstaunlich, genau, wie bei uns Sperlingen! Ich sage nur „Kinderdefizit“, die einen brauchen einen Hund, die anderen haben einen Vogel.

Dabei gibt es überall so viel Not auf dieser Welt, sie aber kümmern sich ausgerechnet um eine Katze und um deren Leibspeise! Von wegen „Weltfrieden“ und so … Wenn sich diese Gutmenschen dadurch besser fühlen, sollen sie machen, bitteschön! Unsere Kinder bleiben dennoch unsere Kinder, dafür werden wir schon sorgen! Wenn diese Rührseligen die mühsame Fütterungsarbeit erledigen wollen, sollen sie! Sie zeigen sich ja recht talentiert! Wenn wir uns in Folge dessen, bei stetig steigenden Temperaturen um weniger Kinder zu kümmern haben, dann bleiben – logisch – mehr Futter und mehr Freizeit über. Das spart Energie und erhöht die Spatzenquote. Bedeutet stetiges Wachstum.

Diese innovative Idee, kräftesparendes CHICKENSHARING, wird Schule machen und ist die Chance für Sperlinge mit Zukunft.

 

Maren Simon, am 8. August 2018

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